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Waldkinder lernen von der Natur

21. März 2011

Klingt nach Hippie, aber Pilze werden nicht gegessen im Waldkindergarten. Kinder verbringen hier jeden Tag im Wald und lernen dabei. Naturpädagogik ist gefragt in Deutschland, erreicht aber vor allem Bildungsbürger.

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Kinder sitzen an einem Baum (Foto: DW)
Bild: DW

"Purzelbäume" nennt sich der Waldkindergarten im nordrhein-westfälischen Sprockhövel. Das hat nichts mit sportlicher Bewegung zu tun, sondern mit einem kleinen, unsichtbaren Zwerg namens "Purzel". Er hinterlässt den Kindern jeden Tag Briefe auf einer kleinen Lichtung im Wald. Briefe mit Antworten auf ihre Fragen zu Pflanzen, Tieren und Jahreszeiten. "Purzel erklärt uns, wie die Ameisen arbeiten oder wie Vögel ein Nest bauen", sagt der vierjährige David.

Kinder des Waldkindergartens Düsseldorf in Düsseldorf-Rath stehen vor ihrem Bauwagen (Foto: dpa)
Den ganzen Tag im Wald - bei jedem WetterBild: picture-alliance/ dpa

Der Waldkindergarten, den er besucht, besteht aus zwanzig Kinder und drei Erzieherinnen und ist einer von rund 1.400 Waldkitas, die es nach Schätzungen des Bundesverbandes der Natur- und Waldkindergärten derzeit in der Bundesrepublik gibt. Von Skandinavien kam die Idee, Kinder mindestens vier Stunden täglich in der Natur spielen und forschen zu lassen, bereits Ende der sechziger Jahre nach Deutschland. Der erste Waldkindergarten mit staatlicher Anerkennung startete 1993 im schleswig-holsteinischen Flensburg und löste eine Gründungswelle aus.

Waldkitas schulen soziale Kompetenz

Deutschland eigne sich besonders gut für die Naturpädagogik, meint die Vorsitzende des Bundesverbands, Ute Schulte Ostermann. "Immerhin besteht ein Drittel der Fläche unseres Landes aus Wald." Die meisten Kitas werden von Elterninitiativen oder kleinen Vereinen getragen, aber auch große Sozialverbände wie die Diakonie oder die Arbeiterwohlfahrt setzen zunehmend auf das pädagogische Konzept des Spielens in freier Natur. Schließlich hätten Studien gezeigt, so betont Ute Schulte Ostermann, dass die "Waldkinder" nicht nur gesünder, sondern aufmerksamer und sozial kompetenter seien als Kinder aus sogenannten "Hauskitas".

Bauwagen des Waldkindergartens "Purzelbäume" im westfälischen Sprockhövel. Hier bewahren die Kinder ihre Sachen auf, wenn sie jeden Morgen in den Wald gehen (Foto: DW)
Im Bauwagen werden die Sachen der Kinder aufbewahrt - ein Kindergartengebäude gibt es nichtBild: DW

Eine Beobachtung, die auch die Leiterin des Waldkindergartens "Purzelbäume", Gabriele Romich macht. "Unsere Kinder müssen sich im Wald an klare Regeln halten." So dürfe kein Kind alleine unterwegs sein, es müsse immer Antwort geben, wenn nach ihm gerufen werde. Bäume und Pflanzen dürften nicht beschädigt, Tiere nicht erschreckt und Früchte nicht gegessen werden, weil sie giftig sein könnten. Als Spielzeug im Wald dienen Blätter, Stöcke oder Steine. Über die Bedeutung der Materialien müssten sich die Kinder erst verständigen, was ihre sprachliche Kompetenz fördere, betont die Erzieherin.

Mehr Ganztagsbetreuung nötig

Sorgen, dass die Kinder später Probleme in der Schule bekommen, wenn sie viel sitzen und schreiben müssen, haben weder die Erzieherinnen noch die Eltern des Waldkindergartens "Purzelbäume". Eine Studie des Darmstädter Professor Roland Gorges bestätigt, dass die Schüler aus Waldkindergärten im Durchschnitt sogar konzentrierter lernen als ihre Mitschüler. Dennoch halte gerade die Befürchtung, dass das Spielen in freier Natur Kinder nicht gut auf die Schule vorbereitet, deutsche Eltern oft davon ab, einen Waldkindergarten auszuwählen, beobachtet Gabriele Romich.

Zwei Kinder eines Waldkindergartens beim Spielen (Foto: DW)
Freie Spielfläche - aber mit RegelnBild: DW

Hinzu kommt, dass viele Kitas nur vormittags geöffnet haben, berufstätige Eltern aber ein Ganztagsangebot benötigen. "Immer mehr Kindergärten stellen sich allerdings darauf ein und betreuen die Kinder nachmittags in geschlossenen Räumen", erklärt Ute Schulte Ostermann. Dort könne dann auch das vermittelt werden, was im Wald zu kurz komme und in der Regel vom Elternhaus aufgefangen werden müsse: Der Umgang mit Stift, Schere und Kleber - die Feinmotorik eben, die später für die Schule wichtig ist.

Kinder aus sozial schwachen Familien fehlen

Die Pädagogin hofft, dass mit dem zunehmenden Ganztagsangebot künftig auch Kinder erreicht werden, die bislang in den Waldkindergärten fehlten: Jungen und Mädchen aus sozial schwachen Familien. Sie wohnen häufig in Großstädten, in denen es keine Waldkindergärten gibt und besitzen meist kein Auto, um ihre Kinder zur nächsten Waldkita zu fahren. Hier müssten die Träger den Eltern stärker entgegenkommen, indem sie die Kinder abholten, fordert die Vorsitzende des Bundesverbands. "Gerade diese Kinder können vom pädagogischen Konzept der Waldkindergärten sehr profitieren."

Autorin: Sabine Damaschke

Redaktion: Marlis Schaum