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Es wird eng

18. Januar 2011

Die Weltbevölkerung wird von 6,8 Milliarden auf 9,15 Milliarden Menschen im Jahr 2050 anwachsen. Das geht aus dem UN-Weltbevölkerungsbericht hervor. Für die arabische Welt kann das kritische Folgen haben.

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Menschenmenge im Jemen, Foto: dpa
Jemens Einwohnerzahl hat sich in den vergangenen 60 Jahren verfünffachtBild: dpa

Es wird eng im Jemen: 1950 lebten dort kaum mehr als 4,3 Millionen Menschen – heute bevölkern mehr als 24 Millionen Einwohner das ärmste und instabilste Land der arabischen Halbinsel: Die Einwohnerzahl hat sich damit in den vergangenen 60 Jahren mehr als verfünffacht. Und ein weiterer Anstieg ist wahrscheinlich: Laut UN-Berechnungen könnte die Bevölkerungszahl bis 2015 auf über 30 Millionen Menschen klettern, für das Jahr 2050 geben die UN schon heute eine noch drastischere Prognose ab: mehr als 53 Millionen Einwohner.

Der Jemen ist mit seiner extrem hohen Geburtenrate ein besonders krasser Fall von Bevölkerungsexplosion: Fast die Hälfte der Bevölkerung ist nur 15 Jahre alt oder jünger, der "Arab Human Development Report" von 2009 beziffert die Jugendarbeitslosigkeit auf fast 30 Prozent. Mögliche Folgen dieser Entwicklung sind die weitere Zunahme der Armut sowie gesellschaftlicher Spannungen und politischer Konflikte. Das von Stammestraditionen geprägte Land gilt längst als neue Machtbasis radikaler Gewaltgruppen wie El-Kaida.

Kein generelles Phänomen

Ein Einzelfall? Nein - aber man könne auch nicht verallgemeinern, betont man bei den UN. Delia Barcelona, stellvertretende Leiterin des regionalen Büros des Weltbevölkerungsfonds (UNFPA) für die arabischen Staaten in Kairo, verweist auf die durchaus unterschiedliche Entwicklung der Länder in ihrer Region. Wobei auffällt, dass insbesondere die ärmeren und instabilen Länder sehr hohe Wachstumsraten aufweisen. "Es gibt relativ stark wachsende Bevölkerungen in Ländern wie Jemen, Sudan oder Irak", erklärt die UN-Vertreterin im Interview mit der Deutschen Welle. "Aber es gibt durchaus auch arabische Länder mit einem geringen Bevölkerungswachstum." Als Beispiel dafür nennt sie das kleine Öl-Emirat Katar – einer der Staaten mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen weltweit und einem hohen Luxusgut, das sich nur wenige arabische Länder leisten können: ein funktionierendes soziales Fürsorgesystem – einschließlich kostenloser medizinischer Versorgung der Bürger.

Auf die ärmeren arabischen Länder mit hohem Bevölkerungswachstum sieht das UNFPA jedoch große Herausforderungen zukommen: In Ländern wie Sudan oder Dschibuti wachse die Bevölkerung in einem Tempo, mit dem das ohnehin schwache Wirtschaftswachstum nicht mithalten könne. Der Leiter des UNFPA-Büros in Kairo, Hafidh Chekir, spricht in einem DW-Interview von "riesigen Problemen", die durch die Folgen des Klimawandels sogar noch verschärft würden. Denn bei anhaltend starkem Bevölkerungswachstum dränge es immer mehr Menschen auf der Suche nach Arbeit in die großen Städte, während die ländlichen Gebiete vernachlässigt würden. Dies habe gravierende Folgen für die Nahrungssicherheit.

Gegenmaßnahmen werden ergriffen

Diesen und anderen Herausforderungen versucht das regionale UNFPA-Büro durch Aufklärungsprogramme entgegenzuwirken. Im Jemen beispielsweise steht der Kampf gegen die Minderjährigen-Ehe ganz vorne auf der Maßnahmenliste – nicht allein aus moralischen Erwägungen. Für die Mädchen, die körperlich und mental noch nicht im heiratsfähigen Alter sind, bedeutet das frühe Heiraten nicht nur ein Hindernis ihrer persönlichen Entwicklung. Meistens brechen sie auch die Schule ab und bekommen sehr früh viele Kinder.

Der UNFPA begegnet dem mit Informationsprogrammen für Sexualaufklärung, Empfängnisverhütung und Fortpflanzungsmedizin – was nicht bei allen Jemeniten auf Gegenliebe stößt. Die Verheiratung minderjähriger Mädchen und Zeugung möglichst viel männlichen Nachwuchses ist dort kulturell tief verwurzelt. Delia Barcelona betont denn auch vorsorglich, dass die Arbeit der UNFPA nichts mit Programmen für Geburtenkontrolle zu tun habe – trotzdem ist UNFPA wegen der Aufklärungsprogramme im Jemen schon mehrfach mit dem Vorwurf der "Unsittlichkeit" konfrontiert worden. Barcelona weist diesen Vorwurf regelmäßig zurück und betont: Die Organisation berate die Menschen nur hinsichtlich ihrer Familienplanung. "Wir geben jungen Paaren die Information, die sie brauchen, um die Entscheidung zu treffen, wann und wie viele Kinder sie bekommen möchten."

Islamkonforme Maßnahmen

Auch in Ägypten, dem einwohnerstärksten arabischen Land, ist das Bevölkerungswachstum sehr hoch. Auch dort versucht UNFPA, den Problemen mit Aufklärungsprogrammen zu begegnen – und arbeitet nicht nur mit der Regierung, sondern auch religiösen Institutionen wie der renommierten Al-Azhar-Universität zusammen. Das Kalkül dabei ist simpel: In einem Land mit überwiegend islamisch geprägter Einwohnerschaft lassen sich Maßnahmen zur Eindämmung des Bevölkerungswachstums und der Armutsbekämpfung mit Unterstützung religiöser Autoritäten und Argumenten aus dem Koran am glaubwürdigsten vermitteln.

Auf den ersten Blick mag es paradox erscheinen - aber neben dem zunehmenden Bevölkerungsdruck durch hohe Geburtenraten sind viele arabische Länder auch am anderen Ende der Alterspyramide mit einer ernsthaften Herausforderung konfrontiert: Trotz Armut und Konflikten steigt in der Region insgesamt die Lebenserwartung der Menschen. Was bedeutet: Nicht nur die Anzahl der jungen Menschen, die sich die knapper werdende Arbeit teilen müssen, nimmt zu. Es müssen auch immer mehr Ältere sozial versorgt werden.

Der Leiter des UNFPA-Büros in Kairo, Hafidh Chekir, Quelle: UNFPA Cairo
Hafidh Chekir warnt vor den gravierenden Folgen des BevölkerungswachstumsBild: UNFPA Cairo
Verkehrschaos in Kairo, Foto: ap
Die Weltbevälkerung wächst rasant - vor allem in den StädtenBild: AP
Jemenitisches Mädchen (Archiv), Foto: ap
Kinderehen sind eine verbreitete Tradition im JemenBild: picture-alliance/dpa

Autor: Nader Alsarras
Redaktion: Rainer Sollich/ Ina Rottscheidt