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Vätergeld und "Über"-Leben

28. April 2006

Ministerium für Gedöns, so spottete Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder dereinst über das Familien-Ressort. Wie sich die Zeiten ändern. Familienpolitik, das ist in Berlin mittlerweile <b><i>das</i></b> Thema.

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Das heißt, eigentlich geht es ja nicht generell um Familie, sondern gestritten wird um Elterngeld und Väter-Monate, um Geburtenquoten und arbeitende Mütter. Da kann ich mitreden, ich habe nämlich selbst zwei kleine Kinder. Und da mein Mann und ich in Berlin leben, sind wir familienpolitisch im Vergleich zu West-Deutschland (das sagen die Berliner auch heute noch, wenn sie die alten Bundesländer meinen) absolut privilegiert.

Wir haben nämlich hier bereits die Form der Kinderbetreuung, die bundesweit gefordert wird. Unsere Kindertagesstätte öffnet morgens um 6.00 Uhr, schließt abends um 18.00 Uhr und Plätze sind ausreichend vorhanden. Die Erzieherinnen sind nett und engagiert und die Kinder fühlen sich wohl. Wenn sie denn in der Kita sind. Kinder werden nämlich, wenn sie noch klein sind, ziemlich häufig krank.

Vieles wird nicht angesprochen

Letzte Woche beispielsweise haben mein Mann und ich wieder abwechselnd drei Nächte in Folge auf dem Sofa verbracht, weil unser Zweijähriger eine so schlimme Bronchitis hatte, dass er vor lauter Husten nicht liegen und nicht schlafen konnte. Unser Kinderarzt hatte uns gewarnt. Kinder unter drei Jahren, die mit anderen Kindern auf engstem Raum zusammen betreut werden, so sagte er, sind im schlechtesten Fall jede zweite Woche krank. So ist es.

Darüber spricht in der aktuellen Diskussion über die Familienpolitik aber niemand. Wie über so viele andere Dinge auch nicht. Nicht über die schiefen Blicke, die Eltern ernten, wenn ihre Kinder in Zügen, Wartezimmern oder Supermärkten oder an anderen Orten, wo sich auch Kinderlose aufhalten, quengeln, schmieren und krümeln. Nicht über Arbeitgeber und auch Kollegen, die zu oft kaum Verständnis dafür aufbringen, dass auf Papa und Mama zuhause noch der Zweitjob Familie wartet und sie deswegen heute und jetzt keine spontanen Überstunden machen können.

Stellschrauben und Risikofaktoren

Es geht um mehr, als um ein paar technische Stellschrauben, an denen die Politik nur drehen muss und dann steigen die Geburtenquote wieder steil nach oben. Nicht dass mich jetzt jemand falsch versteht. Bessere Rahmenbedingungen sind auf jeden Fall nötig und wünschenswert, aber letztlich geht es um eine Trendwende in den Köpfen, um Emotionen. Das Verständnis für ein Leben mit Kindern, für das Chaos und die Unberechenbarkeit, die sie verbreiten und auf ihre Eltern übertragen, muss in der Gesellschaft wieder wachsen und das ist ein langer und mühsamer Prozess.

Kinder gelten heute in erster Linie als Risikofaktoren, die sowohl das persönliche Leben, als auch das berufliche und finanzielle "Über"-Leben bedrohen. Das ist die Botschaft, die auch bei potenziellen Müttern und Vätern ankommt. Sie schrecken zurück, noch bevor das Abenteuer begonnen hat. Woher sollen sie auch wissen, dass Kinder das Schönste sind, was das Leben zu bieten hat? Dass man sie nie mehr missen möchte, wenn sie einmal da sind? Dieses Gefühl hat nichts mit Elterngeld zu tun und kann von Politikern nicht vermittelt werden. Leider.