1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die zweite Heimat des Crafters

Aureliusz M. Pedziwol
24. Oktober 2016

In seinem neuen Werk in Polen will VW den Transporter Crafter produzieren. Die Regierung in Warschau ist von der Investition der Deutschen dennoch nicht wirklich begeistert. Aus Września berichtet Aureliusz Pedziwol.

https://p.dw.com/p/2Reie
Polen Eröffnung des Crafter Werkes in Posen
Bild: DW/A.-M. Pędziwol

Mateusz Morawiecki, polnischer Vizepremier und Minister für Finanzen und wirtschaftliche Entwicklung, hat in letzter Zeit einige Reisen in die Provinz gemacht. Zunächst besuchte er das niederschlesische Kobierzyce bei Breslau. Dort investiert der koreanische Konzern LG 300 Millionen Euro in die Produktion von Batterien für Elektroautos. Es folgte Jawor, ganz in der Nähe, wo Mercedes ein Motorenwerk für 500 Millionen Euro bauen will. In Wałbrzych und in Jelcz-Laskowice schließlich erweitert Toyota für 140 Millionen Euro seine beiden Motorenwerke.

Es war daher erwartet worden, dass Morawiecki auch nach Września kommen würde, wo Volkswagen 800 Millionen Euro in eine neue Fabrik investiert hat, um Transporter vom Typ Crafter zu bauen. Doch zur offiziellen Eröffnung des Werks am Montag erschien Polens wichtigster Wirtschaftspolitiker nicht.

Stattdessen schickte er seinen Stellvertreter aus dem Ressort für wirtschaftliche Entwicklung, Tomasz Kościński. Dieser sagte bei der Pressekonferenz, Polen sehe große Chancen in der Entwicklung elektrischer Autos und begrüße alle Investoren, die sich im Land für Forschung und Entwicklung engagieren.

Rätselhafte Abwesenheit

Beides trifft auf das VW-Werk nicht zu. Während sich LG, Mercedes und Toyota verpflichtet haben, in Polen auch Labore für Forschung und Entwicklung aufzubauen, wird bei VW in Września nur produziert.

Doch möglicherweise gibt es noch einen anderen Grund für die Abwesenheit Morawieckis, sozusagen den Geburtsfehler der deutschen Investition: Die Wolfsburger haben sie noch mit den Vorgängern der jetzigen Regierung vereinbart.

Polen Eröffnung des Crafter Werkes in Posen
Im neuen VW-Werk sollen in den nächsten zwei Jahren rund 100.000 Crafter-Transporter gebaut werdenBild: DW/A.-M. Pędziwol

In der Region freut man sich dagegen über die Investition. "Bisher hat sich die Wirtschaft in der Stadt nämlich linear entwickelt", sagt Dionizy Jaśniewicz, ein Politiker aus Września, der der oppositionellen Bürgerplattform (PO) angehört. "Mit VW erwarten wir hier einen Wirtschaftsboom." Der Bürgermeister der Stadt, Tomasz Kałużny, freut sich zudem über einen Steuerzahler, der die Kasse seiner Stadt füllen wird.

Aber nicht nur die Stadt und der Bezirk werden von der Investition profitieren, sondern auch die gesamte polnische Autoindustrie. Denn seit den 1990er-Jahren, als der amerikanische Konzern General Motors in Gliwice ein Opel-Werk gebaut hatte, war in Polen keine neue Autofabrik mehr eröffnet worden.

Schlag auf Schlag

In den Folgejahren hatte Polen alle Standortwettbewerbe in der Region verloren. TPCA (ein gemeinsames Projekt von Peugeot, Toyota und Citroën) und Hyundai gingen nach Tschechien, PSA (Peugeot und Citroën) und Kia entschieden sich für die Slowakei, Audi und Mercedes wählten Ungarn. Der indische Konzern Tata errichtete sein erstes ausländisches Jaguar-Werk in der Slowakei - und nicht in Polen, wie der damalige polnische Wirtschaftsminister Janusz Piechociński verfrüht ankündigt hatte.

Und dann gab es noch die schmerzhafte Entscheidung von Fiat. 2014 entschied das Unternehmen, die Produktion seines erfolgreichen Modells Panda von Polen nach Italien zurückzuverlegen. Ein Drittel der Belegschaft im Fiat-Werk in Tychy bei Kattowitz verlor damals ihre Jobs.

Die Branche boomt

Doch die schlechten Zeiten scheinen vorbei. Die neuen Investitionen zeigen, dass sich die polnische Autoindustrie derzeit rasant entwickelt. Ein Grund dafür ist ein starker Boom bei Zulieferern. Laut dem jüngsten Bericht der Analysten von AutomotiveSuppliers.pl erreichte der Export der polnischen Autobranche im ersten Halbjahr dieses Jahres fast zwölf Milliarden Euro und lag damit um 10,6 Prozent höher als im Vorjahr. Fast die Hälfte davon, rund fünf Milliarden Euro, brachten die Autoteile. Kaum ein Neuwagen in Europa kommt heute ohne Teile aus Polen aus.

Die Beschäftigung in der Branche wuchs auf das bisher höchste Niveau - fast 180.000 Menschen arbeiten mittlerweile in der polnischen Autoindustrie. Die VW-Investition in Września wird den Trend noch verstärken. Allein im Crafter-Werk werden ab 2018 rund 3000 Menschen einen Job finden. "Bei Volkswagen Poznań, dem die Fabrik in Września direkt gehört, kommen 10.000 dazu und bei den Zulieferern weitere 40.000", sagt Jens Ocksen, der Vorstandschef von VW Poznań.

VW Werk Polen Wrzesnia
Luftansicht des neuen Werks von Volkswagen Nutzfahrzeuge im polnischen WrzesniaBild: Volkswagen AG

"Ausschließlich positive Erfahrungen"

Warum jetzt wieder Polen? "Wir haben hier ausschließlich positive Erfahrungen gesammelt", antwortet Eckard Scholz, Vorstand von Volkswagen Nutzfahrzeuge. Die Zusammenarbeit mit der Verwaltung der Stadt Września funktioniere "hervorragend", versichert Scholz. "Wir sind froh, dass wir hier und nirgends anders sind."

Das niedrige Niveau der Löhne sei dagegen kein Argument für die Investition. "Entscheidend ist, dass wir hier eine extrem motivierte Mannschaft mit viel Fachkompetenz haben", so Scholz. Volkswagen hatte in ganz Europa nach einem Standort für das Crafter-Werk gesucht. Für Września sprach viel, auch der schon existierende VW Standort in Posen (Poznán), der den Personaltransfer vereinfacht.

Zweite Heimat

Am Rande der feierlichen Eröffnung betonte der deutsche Manager im DW-Gespräch die Bedeutung des Standorts Polen für den Konzern: "Für Volkswagen Nutzfahrzeuge ist Polen so etwas wie eine zweite Heimat." Ein Drittel der gesamten Belegschaft arbeitet mittlerweile dort.

Ob die politischen Veränderungen in Polen dem deutschen Konzern zu schaffen machen, wollte Scholz nicht kommentieren. Ebenso wie die Frage, ob es bald einen Ausbau der Werke gibt. Es sei zu verfrüht, darüber zu sprechen, sagte er.

Ein Blick auf das VW Gelände lässt zumindest vermuten, dass es solche Überlegungen gab. Die Fläche ist nur zur Hälfte mit Hallen bebaut.