1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Votum für die politische Krise

14. Oktober 2002

Die Stichwahl um das Präsidentenamt in Serbien ist an unzureichender Wahlbeteiligung gescheitert. Die offensichtliche Politikverdrossenheit in Serbien kommentiert Verica Spasovska.

https://p.dw.com/p/2kaj

Serbiens Wähler haben entschieden: Statt eines Votums für einen neuen Präsidenten haben sie sich selbst eine politische Krise beschert. Denn angesichts der zu geringen Wahlbeteiligung muss nun die gesamte Prozedur der Präsidentenwahl in wenigen Wochen wiederholt werden. Bis dahin haben die Kandidaten eine neue Chance, sich bei den Wählern besseres Gehör zu verschaffen.

Warum, so fragt man sich, haben die Serben so wenig Interesse an der Politik? Erst vor zwei Jahren hatten sie mit beeindruckender Zivil-Courage den Diktator Slobodan Milosevic aus dem Amt vertrieben. Nun rafft sich nicht einmal die Hälfte der Wahlberechtigen zum Urnengang auf. Warum hat sich so schnell Politik-Verdrossenheit breit gemacht?

Der wichtigste Grund für die geringe Wahlbeteiligung liegt in der großen Enttäuschung der Bevölkerung. Die hohen Erwartungen rascher und spürbarer Wirtschafts-Reformen haben sich nicht erfüllt. Gleichzeitig sinkt das Interesse an der politischen Entwicklung im Lande, denn die Menschen sind angesichts der am Boden liegenden Wirtschaft mit dem täglichen Überleben beschäftigt. Auch der Boykott, zu dem der Radikalen-Führer Seselj aufgerufen hatte, weil er selbst nicht mehr im Rennen war, zeigte Wirkung.

Und schließlich konnte keiner der beiden Kandidaten wirklich überzeugen - weder der moderate Nationalist Vojislav Kostunica, noch der Technokrat Miroljub Labus. Der allgemein populäre Kostunica, der sich gern als der Bewahrer serbischer Interessen darstellt, wirkte blass und farblos in diesem Wahlkampf. Labus hingegen konnte seine komplexen Wirtschafts-Konzepte offenbar nicht verständlich vermitteln. Die Rechnung präsentierten die enttäuschten Wähler.

Die Wiederholung der gesamten Wahlprozedur bedeutet zunächst einmal Zeitgewinn für den serbischen Ministerpräsidenten Zoran Djindjic. Er hätte im Falle eines Wahlsieges seines Widersachers Kostunica befürchten müssen, dass dieser rasch vorgezogene Parlamentswahlen ausschreibt. Angesichts des Reform-Staus hätte Djindzic zurzeit keine allzu guten Chancen, die Wahl für sich zu entscheiden.

Die Atempause könnte allerdings auch der Führer der Radikalen-Partei Vojislav Seselj nutzen, der überraschend viele Stimmen im ersten Wahlgang auf sich vereinigen konnte. Er trumpfte mit populistischen Parolen auf. Seine Taktik ging auf, indem er es vermied, markige nationale Töne anzuschlagen. Statt dessen sprach er soziale Themen an und traf damit den Nerv vieler Menschen. Gleichwohl dürfte Seselj auch bei den nächsten Wahlen keine Chance gegen Kostunica haben.

Für Serbien markiert diese gescheiterte Wahl eine weitere Phase der Instabilität. Die reformorientierten Kräfte haben einen herben Rückschlag erlitten. Mit Blick auf die Wahlen im benachbarten Bosnien-Herzegowina scheint dies im Trend zu liegen. Denn auch dort hat die Mehrheit der Wähler bei den letzten allgemeinen Wahlen vor wenigen Wochen für die nationalen Parteien gestimmt. Diese Denkzettel für die Reformer sind keine Katastrophe, sondern möglicherweise lediglich ein Ausdruck dafür, dass sich die Menschen in den Wahl-Programmen nicht mehr wiederfinden. Für die Region bedeutet dies jedoch vor allem eines: Stagnation.