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Vor uns die Sintflut

Thomas Kirschning27. August 2002

Nachhaltigkeit ist das Motto des UN-Weltgipfels in Johannesburg. Aber Nachhaltigkeit kann nur da beginnen, wo Egoismus aufhört, meint Thomas Kirschning.

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Nicht zufällig kam der Begriff "Nachhaltigkeit" als Übersetzung des englischen Wortes "Sustainability" sprachlich zunächst recht hölzern daher: Hierzulande wurde "Nachhaltigkeit" vor allem in der Forstwirtschaft verwendet: Nur soviel Holz soll in einem bestimmten Raum und in einer bestimmten Zeit geschlagen werden, wie zugleich nachwachsen kann.

Berühmt wurde der Begriff 1987 durch die "Weltkommission für Umwelt und Entwicklung" unter dem Vorsitz der früheren norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland. Ungezählt sind seitdem Promotionen und Habilitationen, Denkschriften und Sonntagsreden, Studien und Analysen, die sich mit der nachhaltigen Entwicklung der Welt befassen, schlicht unzählbar die diesbezüglichen Resultate der Internet-Suchmaschinen.

Soviel ist sicher: Der Gipfel in Johannesburg wird dieser nicht enden wollenden Flut von ebenso gut gemeinten wie notwendigen Gedanken, Diskussionen und Papieren weiteren Schub verleihen. Dennoch sind die Armen ärmer und zahlreicher geworden, die Reichen reicher. Das stellt der Weltentwicklungsbericht 2003 der Weltbank fest.

Die natürlichen Ressourcen der Welt verrauchen immer schneller durch Schornsteine und Auspuffrohre, verrotten unter Asphaltdecken und Müllbergen. Nachhaltige Entwicklung: Eine mühsam aufrechterhaltene Fiktion, um ein Quäntchen Optimismus zu verbreiten? Muß der Anschein einer Perspektive gewahrt bleiben, damit soziale Unruhen nicht überhand nehmen und die Welt im Chaos des Überlebenskampfs von Individuen und kurzfristig vereinten Interessengruppen versinkt? Was macht eine Nation, einen Staatenbund oder gar die Welt überlebensfähig?
In Deutschland ist es das Verfassungsgebot der "Angleichung der Lebensverhältnisse": Die stärkeren Regionen müssen den schwächeren dabei helfen, stärker zu werden.

In der Europäischen Union gilt Vergleichbares, Entwicklungspolitik hat ähnliche Ziele, aber in der jüngeren Vergangenheit an Kraft verloren. Denn dies scheint das Problem: Während der Forstwirt den Raum überschaut, innerhalb dessen er für Nachhaltigkeit sorgt, bleibt Armut auf anderen Kontinenten trotz Massentourismus und Massenmedien hingegen stets weit entfernt.

Was also wäre es, was nach Goethe, "die Welt in ihrem Innersten zusammenhält", oder präziser: halten könnte? Das Bewußtsein über globale Zusammenhänge wächst. Hieraus abgeleitete Ziele könnten Orientierung vermitteln.

In der Praxis aber agiert bislang allenfalls das Kapital durchgängig global: Der "Shareholder Value" in seiner übelsten Erscheinungsform definiert sich durch möglichst viel Profit in möglichst kurzer Zeit. Die Weltbank versucht daher in ihrem soeben erschienen Entwicklungsbericht an die Zeitkomponente zu erinnern. Unternehmer, Investoren, Spekulanten und die, die ihnen das Geld geben, sollen an die Welt von morgen denken, den Lebensraum ihrer Kinder und Kindeskinder.

Wenn schon der Appell an Moral und Solidarität nichts fruchtet, dann vielleicht die Aussicht auf ein gutes Gewissen vor ihrem letzten Gang: Die eigenen Nachkommen werden den heutigen Raubrittern keine Kränze flechten, wenn sie den ererbten Reichtum zusammengedrängt und hinter dicken Mauern verschanzt letztlich erfolglos verteidigen müssen.