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Religionsmonitor ortet wachsende Islam-Feindlichkeit

Klaus Krämer29. April 2013

Die Hälfte der in Deutschland lebenden Menschen sieht den Islam als Bedrohung. Der aktuelle Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung wirft Fragen auf.

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Stephan Vopel, Programmleiter der Bertelsmann Stiftung (zuständig für den Religionsmonitor); Copyright: privat
Bild: privat

DW: Fast zwei Drittel der Menschen in Deutschland empfinden die religiöse Vielfalt als Bereicherung. Allerdings sehen 64 Prozent der Befragten darin auch eine Ursache für Konflikte. Erschrecken Sie diese Umfragewerte?

Stephan Vopel: Also die beiden Zahlen, die Sie jetzt genannt haben, erschrecken mich nicht, weil sie einen gewissen pragmatischen Realismus der Befragten zeigen. Sie sehen das religiöse Vielfalt eine Bereicherung sein kann, sie sehen aber eben auch das mögliche Konfliktpotential. Schwierig wird es meines Erachtens in den Punkten, wo es dann um konkrete Religion und die Wahrnehmung von bestimmten Religionen geht.

Welche Befürchtungen hegen Sie?

Wenn wir uns anschauen, wie die Befragten bestimmte Religionen einstufen in der persönlichen Wahrnehmung - und da haben wir gefragt, nehmen sie folgende Religion eher als bedrohlich oder eher als bereichernd wahr - dann ist es wenig überraschend, dass Religionen, die in Deutschland wenig vertreten sind, wie beispielsweise der Hinduismus oder Buddhismus, von der Mehrheit der Befragten ganz positiv gesehen werden.

Wenn man dann aber nach Religionen fragt, mit denen wir in Deutschland konkret zu tun haben, sprich: der Islam und das Judentum, dann sind die Vorbehalte der Befragten doch erschreckend. Dass also ein großer Teil, über 50 Prozent der Befragten in Deutschland den Islam eher als Bedrohung ansehen, auch das Judentum von rund 20 Prozent der Befragten als Bedrohung angesehen wird, das ist schon erschreckend

Nehmen wir den Islam. Worin liegen denn die Ängste gegenüber dem Islam begründet?

Wir haben die Befragten nicht näher gefragt, was genau diese Bedrohungswahrnehmung ausmacht. Hier sind wir auf Mutmaßungen angewiesen. Wenn wir die Daten des Religionsmonitors bezüglich der Wertorientierung der Menschen zugrunde legen oder auch der Einstellung zu grundsätzlich politischen Fragen, dann sehen wir, dass hier die Gemeinsamkeiten zwischen christlich geprägter Mehrheitsbevölkerung und den muslimischen Befragten doch ganz stark überwiegen. Wir können nur vermuten, dass die Wahrnehmung der Befragten hier durch Stereotype geprägt ist. Das zeigt auch der Umstand, dass die Wahrnehmung in den östlichen Bundesländern, wo nur circa zwei Prozent der deutschen Muslime leben, deutlich negativer ist als im Westen. Und dass auch grundsätzlich eine eher ländlich geprägte Bevölkerung hier eine kritischere Wahrnehmung hat als eine eher städtisch geprägte.

Eines der Stereotypen könnte ja vielleicht darin bestehen, dass friedliebenden Muslimen ein Negativ-Image anhängt, weil muslimische Extremisten in anderen Weltgegenden Verbrechen verüben. Haben Sie darüber Erkenntnisse?

Diese Vermutung teilen wir. Es gibt ja auch andere Studien, beispielsweise des Sachverständigenrates deutschen Stiftungen (für Integration und Migration) zum Thema Integration, die zeigen, wie stark die Medienberichterstattung über Muslime in Deutschland von der gesamten Bevölkerung doch als überwiegend negativ beurteilt wird. Also hier werden Stereotype produziert, die sich dann in den Köpfen festsetzen und wir haben ganz grundsätzlich das Phänomen, dass in der öffentlichen Debatte zwei Problemkreise miteinander vermengt werden - nämlich einerseits die Frage des islamischen Fundamentalismus, bis hin zu radikalen und gewalttätigen Ereignissen und auf der anderen Seite die Frage der Integration von Zuwanderern in Deutschland.

Waren denn angesichts der neusten Zahlen jahrzehntelange Informationsarbeit und zum Beispiel der interreligiöse Dialog zwischen Christentum und Islam vergeblich?

Also sicherlich nicht vergeblich - man muss sich ja fragen, wie wäre es denn, wenn es das nicht gegeben hätte. Und in der Tat sind es ja in Anführungszeichen "nur" 51 Prozent der deutschen Bevölkerung, die den Islam als Bedrohung wahrnehmen. Aber das ist natürlich gleichzeitig ein immenses Problem. Insofern ist hier auch ein Umsteuern der Politik und der Orientierung der Politik erforderlich. Wir haben uns lange Zeit auf die Defizite konzentriert. Wir haben viel zu lange gedacht, dass Deutschland kein Einwanderungsland ist. Und jetzt beginnen die Politik und auch die Gesellschaft, hier umzudenken. Ich glaube, wir müssen von einer Vergangenheitsorientierung viel stärker in eine Zukunftsorientierung hereinkommen. Deutschland ist ein Einwanderungsland und Deutschland muss auch weiter ein Einwanderungsland bleiben, weil es demografisch und damit auch ökonomisch darauf angewiesen ist, eine qualifizierte Zuwanderung zu bekommen. - Und unter welchen Bedingungen kann das gelingen? Dafür ist ganz entscheidend eine kluge Steuerung von Zuwanderung. Es braucht zweitens auch eine Willkommenskultur, die für Gleichstellung von Migranten in der deutschen Gesellschaft sorgt. Und wir brauchen auch - das zeigt der Religionsmonitor ganz deutlich - eine Willkommenskultur durch Wertschätzung. Das heißt, dass die gesellschaftliche Vielfalt, die religiöse, die kulturelle, die ethnische Vielfalt auch als Bereicherung wahrgenommen wird.

Ihre Untersuchung zeigt auch, dass die Islam-Ängste schwinden, je gebildeter und religiöser ein Mensch ist. Persönliche Einstellungen sind also beeinflussbar. Was müsste mit Blick auf den Einzelnen geschehen, damit sich das gesellschaftliche Klima zum Bessern wandelt?

Mit Sicherheit ist Bildung ein ganz wesentlicher Schlüssel dafür. Wir haben zweitens festgestellt, dass es auch einen hohen Zusammenhang gibt zwischen der Frage, hat man überhaupt Kontakt mit Menschen anderer Religionen, und der Einstellung gegenüber anderen Religionen. Das heißt: Menschen unterschiedlicher Religionen müssen miteinander in den Dialog treten, müssen sich miteinander austauschen. Hier steht es in Deutschland - auch im Vergleich mit anderen europäischen Staaten - gar nicht so schlecht. Wir haben hier nicht so eine starke Ghettoisierung, Segregation in den Wohnvierteln wie in manchen anderen Ländern. Aber das reicht noch nicht. Wir brauchen hier mehr. Und wir müssen uns natürlich auch fragen, ob es denn ausreicht, wenn zum Beispiel der Konfessionsunterricht - und wir begrüßen ausdrücklich, dass es hier innovative Modelle gibt, auch islamischen Religionsunterricht in den Schulen mancher Bundesländer zu geben - aber es braucht sicherlich auch Orte, wo über Werte, Wertorientierungen gemeinsam zwischen Angehörigen unterschiedlicher Konfessionen und Religionen in den Schulen diskutiert wird.

Stephan Vopel ist Programmleiter der Bertelsmann Stiftung und unter anderem zuständig für den Religionsmonitor.

Das Gespräch führte Klaus Krämer.