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Von Willkommenskultur keine Spur

Marina Martinovic2. Februar 2016

Vor 20 Jahren flüchteten mehr als 400.000 Menschen vor dem Bosnienkrieg nach Deutschland. Sie stießen auf ähnliche Probleme wie heute Asylbewerber aus Syrien. Macht die Flüchtlingspolitik die gleichen Fehler wie damals?

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Bosnische Flüchtlinge in Deutschland 1992 (Foto: Thomas Lehmann )
Von 1992 bis 1995 kamen über 400.000 Flüchtlinge aus Bosnien nach DeutschlandBild: picture alliance/ZB/T. Lehmann

Die Angst vor unkontrollierter Zuwanderung macht sich breit. In nur einem Jahr strömen 440.000 Asylbewerber aufgrund des Bosnienkrieges nach Deutschland. Die Regierung steht unter Handlungsdruck und verschärft das Asylrecht. Nur noch politisch Verfolgte sollen in Deutschland aufgenommen werden.

Die Debatte hätte heute im Bundestag geführt werden können. Sie fand allerdings bereits am 26. Mai 1993 statt. An diesem Tag änderte der Deutsche Bundestag das Grundgesetz und führte die sogenannte Drittstaatenregelung ein. Danach haben Flüchtlinge, die über ein EU-Land oder über ein anderes Nachbarland Deutschlands einreisen, keinen Anspruch auf Asyl und können sofort abgewiesen werden.

Es ist ein Déjà-vu der deutschen Flüchtlingspolitik, die Debatten von damals und heute verlaufen auffallend ähnlich. Die anfängliche Willkommenskultur scheint verflogen, zurzeit dreht sich in Berlin alles darum, wie der Zuzug der Flüchtlinge nach Deutschland begrenzt werden kann.

Nach ihrem anfänglichen, viel zitierten Satz "Wir schaffen das" ruderte Bundeskanzlerin Angela Merkel vor wenigen Tagen zurück und sagte, Deutschland gewähre den meisten Flüchtlingen nur vorübergehenden Schutz. Sie erwarte von den Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak, dass sie nach dem Ende der Kämpfe in ihre Heimat zurückkehrten.

"Gäste auf Zeit"?

Für den stellvertretenden Geschäftsführer der deutschen Organisation Pro Asyl ist dies eine "problematische Debatte zur Unzeit". "Es erinnert mich an die Lage während und nach dem Krieg in Bosnien-Herzegowina in den 90er Jahren", sagt Bernd Mesovic.

Mesovic betont, dass mit der jetzigen Debatte das verbriefte Recht der Flüchtlinge, als solche anerkannt zu werden, abgestuft werde zu einer Art "Gastrecht auf Zeit" - so wie damals bei den Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien. Dies trage nicht zur Integration bei.

Bonn Matthias-Claudius-Schule internationalen Klasse Flüchtlinge (Foto: Anastasia Arinushkina/DW)
Zuerst in die Schule, dann zuruck in die Heimat? - Syrische Kinder in DeutschlandBild: DW/A. Arinushkina

"Deutschland hat damals anders gehandelt als andere europäische Staaten. Man hat bosnischen Flüchtlingen, bis auf wenige Ausnahmen, die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft verweigert und ihnen stattdessen einen vorübergehenden Schutzstatus gewährt. Und kaum war der Friedensschluss von Dayton 1995 geschehen, hat man gesagt, ihr habt diesen Status bekommen und jetzt ist Frieden, jetzt aber so schnell wie möglich zurück", erinnert sich Mesovic.

Und so schnell wie möglich zurück ging es auch, weil die deutsche Politik schon bei der Einreise den Flüchtlingen unmissverständlich klarmachte, sie seien während der Zeit ihres Aufenthaltes nur "geduldet". Nach Angaben des damaligen Flüchtlingsbeauftragten der Bundesregierung, Dietmar Schlee, verließen bis Herbst 1998 rund 250.000 bosnische Flüchtlinge Deutschland. Grundlage dafür war das 1996 unterzeichnete Abkommen zwischen Deutschland und Bosnien-Herzegowina zur schrittweisen Rückführung der Flüchtlinge.

"Zweite Vertreibung" aus Deutschland

Mesovic findet es beschämend, dass damals ausgerechnet die USA und Kanada und nicht Deutschland oder ein anderes europäisches Land diesen Menschen die Chance auf ein neues Leben angeboten haben. Einige der Flüchtlinge sagten damals, der Rückkehr-Druck sei eine Art "zweite Vertreibung" gewesen, erinnert sich Mesovic.

Dabei waren die meisten von ihnen trotz mangelnder Bleibeperspektive am Ende ihres Aufenthaltes gut integriert, so wie die 28-jährige Bosnierin Jasmina Borojevic. Sie kam mit ihren Eltern als kleines Kind nach Deutschland und besuchte dort in den 90er Jahren die Grundschule.

Nach dem Krieg kehrte sie mit ihrer Familie in ihre Heimatstadt Modrica im Nordosten Bosniens zurück. Dort machte sie später eine Ausbildung zur Krankenschwester. Weil sie keine Arbeit fand, hörte sie sich in Deutschland um und fand eine Stelle als Krankenpflegerin in einem Kölner Krankenhaus.

"Mit meinen guten Deutschkenntnissen habe ich mich gleich zurechtgefunden und fühlte mich von Anfang an akzeptiert", sagt sie im DW-Gespräch. "Deutschland empfinde ich sowieso nicht als ein fremdes Land, und das hat mir vieles erleichtert", meint Jasmina Borojevic.

Bernd Mesovic, stellvertretender Geschäftsführer Pro Asyl (Foto: Shirin Shahidi)
Mit bosnischen Flüchtlingen wurden viele Fehler gemacht, meint Bernd Mesovic von Pro AsylBild: Shirin Shahidi

Vom Flüchtling zur Fachkraft

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich die Geschichte der Bosnienflüchtlinge wiederholt. "Wenn in Syrien Frieden einkehren sollte, wird es sicherlich, so wie im Falle des ehemaligen Jugoslawien, viele Flüchtlinge geben, die wieder nach Hause zurückkehren wollen", glaubt Bernd Mesovic. Allerdings werde es auch solche geben, die gute Gründe hätten, sich das gut zu überlegen, zum Beispiel, wenn ihnen Gewalt oder Folter drohe.

Angesichts der unsicheren Zukunft plädiert der Asylexperte dafür, mit der Integration so früh wie möglich zu beginnen. Damit könne man die Fehler und Umwege der damaligen Flüchtlingspolitik vermeiden. Denn viele der Flüchtlingskinder, die in Deutschland aufwuchsen und gut Deutsch sprachen, seien später wieder zurückgekehrt. Beim zweiten Mal kamen sie nicht als Flüchtlinge, sondern als Studenten, Ingenieure oder medizinische Fachkräfte - als die Mustereinwanderer, die sich Berlin so sehnlichst wünscht.