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Von Sr. Dr. Aurelia Spendel OP, Augsburg

31. Dezember 2011

An ein Ende kommen - neu anfangen

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Schwester Dr. Aurelia Spendel OP, Augsburg
Bild: Aurelia Spendel

Liebe Hörerinnen und Hörer,

Mutter Teresa wurde einmal gefragt, was sich ihrer Meinung nach in der Kirche ändern müsse, damit sie glaubwürdiger das Evangelium verkünde und den Menschen näher sei. Ihre Antwort war kurz, knapp, fast schroff: Sie und ich müssen sich ändern.

Sie und ich müssen sich ändern - wie wahr, wie einfach zu verstehen und wie schwer in die Tat umzusetzen. Der Mensch ändert alles Mögliche mit Begeisterung, sich selber jedoch nur ungern, oft nur, wenn es gar nicht mehr anders geht, wenn ein Leidensdruck Veränderung unausweichlich macht.

Dabei gehört Veränderung zu den Grundtatsachen allen Lebens, denn Leben entsteht, blüht auf, altert und vergeht. So wird uns Veränderung nicht als Aufgabe gegeben, die wir nach Lust und Laune annehmen oder ablehnen könnten. Sie ist uns durch unser Menschsein angeboren, jedem und jeder, Tag für Tag. Wir Menschen sind Wesen der Veränderung. Nichts ist in unserem Dasein so beständig wie der Wandel.

Das zu sehen und zu akzeptieren ist nicht leicht. Auch wenn Veränderungen herbeigesehnt werden wie: endlich in die Schule kommen, endlich den Führerschein in der Tasche haben, endlich in das eigene Haus einziehen, eine ungeliebte Berufstätigkeit aufgeben können, aus einer verfahrenen Beziehung herauskommen, sind Veränderungen auch immer mit Fragezeichen und ambivalenten Gefühlen verbunden. Wie wird das Neue werden, wie wird die neue Freiheit schmecken, wie wird es mir und anderen unter den veränderten Umständen ergehen, wird das Neue und Andere wirklich das erträumte Bessere sein?

Das trifft Erwachsene wie Kinder, Menschen in gesicherten Verhältnissen und Menschen, die es schwer haben, Menschen, denen scheinbar alles in den Schoß fällt und jene, die sich durchkämpfen müssen.

Was muss sich für Sie, was muss sich für mich ändern im kommenden neuen Jahr? Soll es besser werden? Sie und ich müssen sich ändern, sagt Mutter Teresa. Stimmt das, immer, unter allen Umständen, für alle gleichermaßen? Und vor allem: Stimmt es so blank und bloß, wie es sich anhört? Sind wir wirklich immer unseres Glückes Schmied? Wir allein und nichts anderes? Meine Antwort lautet: Nein, so sehr ich dem knappen Wort der großen Ordensfrau aus Kalkutta auch zustimme. Nein, wir sind nicht immer unseres Glückes Schmied. Es gibt den Druck der Verhältnisse, in denen wir leben, Es gibt den anonymen Zwang eines Systems; die Gefängnisse der Strukturen, auf die wir keinen Einfluss haben, so sehr wir auch Veränderung zum Besseren mit ganzer Kraft ersehnen.

Am letzten Tag des Jahres wird uns vielleicht besonders bewusst, wie brüchig und begrenzt unsere Bereitschaft und unsere Möglichkeit zur Veränderung oft sind. Schon die manchmal so banalen Vorsätze zur Jahreswende, von denen wir wissen, dass sie im Lauf der nächsten Wochen dünn und dünner werden, zeigen an, dass Wollen, Können und Tun drei sehr verschiedene Dinge sind.

Was also tun: aufgeben, resignieren, weitermachen wie bisher – ein bisschen traurig, ein bisschen beschämt, ein bisschen wütend auf alles und jedes und auch auf sich selbst?

Nein, das nicht! Denn Veränderung heißt auch: immer wieder neu anfangen mit Hirn, Herz und Humor. Was nicht zu ändern ist – nun, das soll so bleiben, wie es ist. Was aber zu ändern ist, ruft nach dem ersten Schritt, gleichgültig wie klein er ist! Allein oder mit anderen, egal: Der erste Schritt ist der erste Schritt in die richtige Richtung.

Christinnen und Christen verlassen sich dabei nicht nur auf ihre eigene Kraft. Sie wissen, wie gut es ist, wenn Gottes Kraft und Geist mit dabei sind. Gott ist ja derjenige, der sich ständig ändert und doch immer der gleiche bleibt. Eingebunden in mehr als unseren eigenen Willen können wir uns ohne Angst entwickeln, ohne Sorge neu werden und darin ganz die werden, die wir sind.

Einer anderen großen Heiligen, Teresa von Avila, wird als tröstendes Wort in allen Veränderung zugeschreiben: Nichts soll dich ängstigen, nichts dich erschrecken. Alles vergeht. Gott bleibt derselbe. Geduld erreicht alles. Wer Gott besitzt, dem kann nichts fehlen. Gott allein genügt.

In diesem Sinn wünsche ich Ihnen und mir für das Neue Jahr gesegnete Veränderung.

Redaktionelle Verantwortung: Dr. Silvia Becker, Hörfunkbeauftragte der katholischen Kirche