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Von Migranten zu Geschäftsleuten

3. September 2009

Menschenunwürdige Zustände in Flüchtlingslagern. Eine seit Jahrzehnten mangelhafte Migrationspolitik. Und nun noch eine Migrantengruppe, die für ganz besonderen Zündstoff sorgt.

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Rund 200 Flüchtlinge sitzen am Strand von Kato Zacro auf der griechischen Insel Kreta (Foto: dpa)
Griechenland ist in den vergangenen Jahren zum Einwanderungsland gewordenBild: dpa

Griechenlands Migrations- und Integrationspolitik ist eine unendliche Geschichte. Das Land war jahrzehntelang ein klassisches Auswandererland, Nachfahren griechischer Auswanderer finden sich von Australien bis Kanada. Doch als in den 1990er Jahren im Zuge der Jugoslawien-Kriege immer mehr Menschen vom Balkan, vor allem aus Albanien, nach Griechenland kamen, um Schutz, aber auch einen besseren Lebensstandard zu finden, wurde Griechenland zum Einwanderungsland. Mittlerweile kommen auch Menschen aus dem Nahen und Mittleren Osten, oder aus Ostafrika. Allein im ersten Halbjahr 2009 wurden nach Angaben des griechischen Innenministeriums knapp 60.000 illegale Einwanderer von den Behörden aufgegriffen.

Überfordert vom Migrantenstrom

Decken und Pappe auf schmutzigem Fußboden (Foto: dpa)
Die Zustände in Griechenlands Unterkünften für Asyslbewerber sind oft miserabelBild: DW

Viele wollen die riesige Grenze des Landes zur Einreise in die EU nutzen, um dann weiter zu reisen. Andere bleiben in Griechenland. Mittlerweile hat jeder zehnte Bewohner des Landes keinen griechischen Pass. Doch eine angemessene Einwanderungspolitik lässt noch immer auf sich warten. Zeitgleich machen Skandale um menschenunwürdige Zustände in Flüchtlingslagern Schlagzeilen - immer wieder. Und jetzt kommt noch eine weitere Gruppe von Einwanderern hinzu, die dem griechischen Staat zwar nicht auf der Tasche liegt, dafür aber vor allem in Zeiten der Wirtschaftskrise für Mißgunst bei den Geschäftsleuten sorgt: die chinesischen Händler in Athens "Chinatown".

Emsige Chinesen im Zentrum Athens

Ein richtiges Chinatown mit Eingangstoren, bunten Tempeln und zahllosen chinesischen Geschäften wie etwa in San Francisco gibt es in Griechenland eigentlich gar nicht. "Chinatown" nennt man in Athen vor allem die abgelegene Aghisiláou Straße oder aber auch die "Plateía Theátrou", den Theaterplatz im Stadtzentrum. Aber dort gibt es keine Tempel oder Restaurants, sondern ein paar Handelszentren, also Häuserblocks mit chinesischen Geschäften. Doch die reichen aus, um einheimische Geschäftsleute auf die Barrikaden zu bringen.

Dort hat auch Lan Xiao Cheng seinen wirtschaftlichen Aufstieg geschafft. Seit über fünfzehn Jahren lebt der geschäftstüchtige Händler aus China in Athen. "Ich kam zum Studieren nach Griechenland und bekam direkt einen Aushilfsjob in einem chinesischen Restaurant", erzählt er. "Nach drei Jahren habe ich einen Import-Export-Laden für Seidenstoffe und Kleidung eröffnet." Wenig später habe Griechenland den Zuschlag für die Olympischen Spiele 2004 erhalten, worauf viele Delegationen und Touristengruppen aus China gekommen seien, aber damals sprach kaum jemand Chinesisch, erzählt Lan Xiao Cheng. "Ich dachte mir, ich könnte es doch mit einem Reisebüro versuchen. Heute kommen immer mehr Leute nach Griechenland. Das Geschäft wächst jährlich um 20 Prozent." Er sei eben immer zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort gewesen und konnte so eine eigene Existenz aufbauen.

Billigläden von finanzstarken Chinesen

Chinesischer Laden (Foto: dpa)
In ihren Läden bieten die Chinesen billige Ware aus der Heimat anBild: dpa

Offiziell leben 2.000 Chinesen im Großraum Athen, ihre tatsächliche Zahl liegt vermutlich zehnmal so hoch. Es handelt sich vor allem um Touristen, die nach Ablauf ihres Visums weiter in Griechenland bleiben – ob legal oder illegal. Viele besitzen einen Laden für Billigkleidung oder arbeiten in der Gastronomie. Ihre Geschäfte sind über die ganze Stadt verteilt, denn sie können sich mittlerweile auch gute Geschäftsadressen in der Innenstadt leisten. Händler aus China sind angeblich bereit, eine Barkaution von über 100.000 Euro für einen neuen Laden in guter Lage zu bezahlen.

Um ihren geschäftlichen Erfolg werden sie durchaus beneidet. Griechische Geschäftsleute reagieren empört. Sie werfen den Chinesen unlauteren Wettbewerb, Lohndumping und massiv gestiegene Mietpreise vor. Auch Dimitris Armenakis, Vorsitzender des griechischen Handelsverbandes, läuft Sturm gegen die unliebsamen Konkurrenten. Er wirft ihnen vor, ihre Waren nicht nur im eigenen Laden, sondern auch auf der Straße zu verkaufen - und zwar schwarz. "Die Behörden sind nicht in der Lage, den Schwarzhandel einzudämmen", erklärt er. "Und die chinesischen Händler nutzen das Unvermögen der Staates aus. Für uns sind sie eine echte Plage. Wir sind nicht gegen irgend jemanden, aber wir verlangen, dass alle die Gesetze eingehalten werden." Die Krankenkassen, die Finanzbehörden und das Gesundheitsamt sollten bei chinesischen Händlern ebenso kontrollieren wie bei griechischen, beklagt sich Armenakis weiter. Manche Beobachter vermuten gar mafiöse Strukturen hinter den chinesischen Geschäftskreisen.

Vom Auswanderungsland zum Einwanderungsland

Blick über Athen (Foto: dpa)
Viele chinesische Immigranten haben sich in Athen etabliertBild: picture-alliance/dpa/Peter Zimmermann

Griechenland, einst ein Auswanderungsland, wird zum beliebten Einwanderungsziel junger Menschen aus Asien und Afrika. Doch das Land scheint finanziell und politisch überfordert von den Migrationsströmen und von der EU allein gelassen. Seine Bürger fühlen sich zudem offenbar noch immer als Bürger eines Auswanderungs- nicht eines Einwanderungslandes. Und die griechischen Behörden verfolgen nicht einmal im Ansatz eine vernünftige Integrationspolitik: Angefangen von der bloßen Registrierung der Einwanderer über ihre wirtschaftliche oder rechtliche Absicherung bis hin zu konkreten Integrationsmaßnahmen stecken die politischen Bemühungen in den Kinderschuhen. Fragen der Staatsangehörigkeit werden vernachlässigt. Selbst die in Griechenland geborenen Kinder asiatischer Eltern sind "illegal" und werden oft von Abschiebung bedroht. Dass die Griechen wenig über die Zuwanderer wissen, macht die Sache nicht einfacher.

So hat das Athener Institut für internationale Wirtschaftsbeziehungen erst im Jahr 2007die allererste wissenschaftliche Studie über asiatische Einwanderer in Griechenland durchführen lassen. Plamen Tonchev, Asienexperte bulgarischer Abstammung und Initiator der Studie, hat nur Gutes zu erzählen über die Chinesen. Die Studie habe ergeben, dass sie fleißig, realistisch, geschäftstüchtig und besonders gut ausgebildet seien. "Das hilft ihnen dabei, ihre wirtschaftlichen und unternehmerischen Ziele schneller zu erreichen", sagt Tonchev. "Ich denke daher, dass wir uns nicht über die Chinesen beschweren dürfen. Stattdessen sollten wir lieber unsere eigenen Hausaufgaben machen und die Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft verbessern."

Unauffällig, fleissig - und beneidet

Zu einer offenen Auseinandersetzung mit den Chinesen ist es - noch - nicht gekommen. Das liegt vielleicht auch daran, dass immerhin ihr Sozialverhaltenhoch geschätzt wird: Sie gelten als friedliche Menschen, die sich besonders für die griechische Kultur und Geschichte interessieren. Manchen sind sie sogar zu unauffällig, denn sie sprechen kaum mit Fremden. Sie tauchen kaum in der Kriminalstatistik auf und widmen sich ausschließlich ihrer Arbeit. Nach einer Studie des Athener Instituts für internationale Wirtschaftsbeziehungen sind Chinesen sogar die reichsten Einwanderer. Als gleichwertige Mitbürger werden sie trotzdem nicht akzeptiert, zu tief sitzt in Griechenland die Angst vor den emsigen Händlern aus Fernost. Auch Lan Xiao Cheng kämpft immer wieder gegen Klischees und Vorurteile. Für die protestierenden griechischen Händler hat er kein Verständnis.

Die Wirtschaftskrise macht den griechischen Händlern zusätzlich zu schaffen. Allein in diesem Jahr mussten über 1.000 Kleinbetriebe im Großraum Athen Konkurs anmelden, Experten befürchten noch Schlimmeres in den nächsten Monaten. Die Gefahr ist groß, dass die Chinesen als Sündenböcke für die Krise herhalten – und auch für eine versäumte Integrationspolitik...

Autor: Giannis Papadimitriou
Redaktion: Daphne Grathwohl / Andreas Ziemons