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Von der Universität zum Bürger

Suzanne Cords23. März 2012

Was an Universitäten gelehrt wird, ist für viele Menschen nicht unbedingt verständlich. Doch es geht auch anders: Sogenannte Wissenschaftsläden sorgen dafür, dass Forschung und Bürger sich näher kommen.

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Blick in den Wissenschaftsladen in Bonn (Foto: Suzanne Cords/DW)
Bild: DW

Im Keller des Wissenschaftsladens Bonn stapeln drei Mitarbeiter Zeitungen für die Auslieferung an die Abonnenten. Rockmusik dröhnt aus dem Radio. Dazu rattert und ächzt die alterschwache Etikettiermaschine. Wahrscheinlich tat sie hier schon in den 80er Jahren ihren Dienst, als Studenten überall im Land Wissenschaftsläden, kurz WiLas genannt, gründeten.

Die Idee stammt ursprünglich aus den Niederlanden. Studenten aus Amsterdam hatten sich überlegt, ihr theoretisches Wissen praktisch anzuwenden und Bürgern konkrete Hilfe anzubieten. Das holländische Beispiel machte Schule und gelangte auch in die Nachbarländer, erzählt der Agrarwissenschaftler und Bonner WiLa-Mitarbeiter der ersten Stunde, Norbert Steinhaus.

Ehrenamtlich und ambitioniert

In der Anfangszeit kamen die Bürger vor allem mit Anfragen zur Umwelt. Es ging um Luftverschmutzung, belastetes Trinkwasser oder Ernährungsfragen. Experten waren damals rar, und im Wissenschaftsladen gab es kostenlose Antworten. In den ersten Jahren trafen sich Studenten einmal wöchentlich in den Räumen des ASTA, des Allgemeinen Studentenausschusses, um ankommende Bürgerfragen zu sichten und an die zuständigen Fachbereiche zu verteilen.

Ein Mitarbeiter des Wissenschaftsladens in Bonn bearbeitet die Post (Foto: Suzanne Cords/DW)
Antworten per PostBild: DW

Doch als die Anfragen sich mehrten, kam auch der Wunsch nach Mitarbeiterbezahlung und Büros auf, und so eröffnete in Berlin 1980 der erste deutsche Wissenschaftsladen. Rund 30 weitere folgten, aus Geldmangel überlebte aber nur rund ein Drittel bis ins neue Jahrtausend. Der Bonner WiLa überstand die Krise und ist heute sogar Europas größter Wissenschaftsladen.

Fragen beantworten, Projekte anbieten

Norbert Steinhaus stieß 1987 direkt nach dem Studium als erster festangestellter Mitarbeiter zum WiLa Bonn. Heute hat der Laden 30 Mitarbeiter, die meisten sind Naturwissenschaftler. Studenten helfen nur noch gelegentlich mit. Zwar beantworten mittlerweile die Verbraucherzentralen viele der Bürgerfragen aus den Gründungsjahren, doch wenn man dort nicht weiter weiß, werden die Bürger gern zum WiLa weitergeleitet, berichtet Norbert Steinhaus.

Agrarwissenschaftler Norbert Steinhaus in seinem Büro (Foto: Suzanne Cords/DW)
Norbert Steinhaus in seinem BüroBild: DW

Längst reagieren die Wissenschaftsläden nicht mehr nur auf Anfragen, sondern entwickeln selbst Projekte, bieten Schulungen und Planspiele an. Beim "Tatort Wald" etwa lernen Kinder so einiges über die Natur, und im Internationalen Garten können Menschen unterschiedlichster Herkunft ihr eigenes Stück Land bewirtschaften. Hoch im Kurs stehen auch Themen rund um den Arbeitsmarkt, sinnvolle Flächennutzung und erneuerbare Energien.

Dolmetscher der  Wissenschaftssprache

Am Ursprungskonzept, dem Dialog zwischen Forschung und Bürger, hat sich bis heute aber nicht allzu viel geändert. "Wenn eine Bürgergruppe mit einem Problem kommt, ist das Problem ja nicht unbedingt wissenschaftlich formuliert", sagt Norbert Steinhaus. Eine Nachbarschaftsgruppe aus der Nähe einer Fabrik etwa sage einfach nur "Hier stinkt's und wir haben Angst, dass wir Krebs bekommen", und damit könne kein Wissenschaftler etwas anfangen.

Die Eingangstür zum Wissenschaftsladen in Bonn - versteckt hinter Sträuchern (Foto: Suzanne Cords/DW)
Versteckt hinter Sträuchern: der Bonner WissenschaftsladenBild: DW

"Unsere Aufgabe ist es dann, das Problem in die Wissenschaftssprache zu übersetzen und das Ergebnis in allgemeinverständliche Formulierungen zu verpacken, mit denen auch Nichtwissenschaftler etwas anfangen können", erklärt  Steinhaus. Im konkreten Fall schickte der WiLa also einen Studenten vor Ort, der Emissionsmessungen vornahm und die konkrete Belastung für die Bürger überprüfte.

Kampf gegen Vorurteile

Während in Holland die Wissenschaftsläden in der Regel direkt in die Universität eingebunden sind, tun sich deutsche Hochschulen damit allerdings bis heute schwer, bedauert Steinhaus. Denn die Wissenschaftsläden hätten mit dem Vorurteil zu kämpfen, Teil der linken Studentenbewegung zu sein. "Und da sahen viele konservative Universitäten einfach keinen Weg, uns in ihre Institution einzubetten."

Doch seit die Europäische Kommission das Modell der Wissenschaftsläden als "nachahmenswerten Ansatz im Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit" anerkannt hat, verändert sich das Verhältnis zwischen Wissenschaftsläden und deutschen Hochschulen. So suchten immer mehr Universitäten bei innovativen Projekten die Zusammenarbeit mit den Wissenschaftsläden, freut sich Nobert Steinhaus. 

Das Logo: Der Wissenschaftsladen ist als Bildungszentrum von der EU anerkannt (Foto: Suzanne Cords/DW)
Wissenschaftsläden sind als Bildungszentrum von der EU anerkanntBild: DW

Mittlerweile gibt es sogar Fördergelder für die Vernetzung und Neugründung europäischer Wissenschaftsläden. Norbert Steinhaus ist inzwischen internationaler Ansprechpartner für Wissenschaftsläden von Rumänien bis Griechenland. "Ich habe mir immer gewünscht, dass sich etwas tut, und jetzt ist es endlich soweit."