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Von der ruhigen Hand zum Aktionismus

Rolf Wenkel15. Januar 2002

Lange hat es gedauert, bis die Bundesregierung gemerkt hat, dass sich mit einer "Politik der ruhigen Hand", also mit Nichtstun, die Probleme am Arbeitsmarkt nicht lösen lassen. Ein Kommentar von Rolf Wenkel.

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Der Kanzler und sein Arbeitsminister haben zu lange darauf vertraut, dass sich das kräftige Wirtschaftswachstum des Jahres 2000 von 3,1 Prozent ungebremst fortsetzen und so die Arbeitslosigkeit schon aus konjunkturellen Gründen entdramatisiert würde.

Das rächt sich jetzt. Der konjunkturelle Abschwung legt schonungslos die strukturellen Defizite und Verkrustungen des deutschen Arbeitsmarktes offen. Defizite, die von internationalen Institutionen wie dem IWF, der OECD in Paris oder der Europäischen Kommission schon lange bemängelt werden. Hätte die Bundesregierung diese strukturellen Defizite in guten Zeiten angegangen, den Arbeitsmarkt flexibilisiert und von hemmenden Vorschriften entrümpelt, hätten im Abschwung weniger Menschen ihren Arbeitsplatz verloren. Und sie würden im Aufschwung schneller eine Beschäftigung finden.

Das also ist versäumt worden. Die Quittung sind knapp vier Millionen offiziell als arbeitslos gemeldete Menschen und noch einmal 1,8 Millionen ohne reguläre Beschäftigung, die aus der amtlichen Statistik aus verschiedenen Gründen herausfallen. Und das Schlimme ist: Im letzten Viertel der Legislaturperiode bleibt keine Zeit mehr für strukturelle Reformen, der Wahlkampf würde jede sachliche Diskussion überschatten, abgesehen davon, dass die Früchte einer umfassenden Arbeitsmarktreform eine neue Bundesregierung ernten würde, die nicht unbedingt die alte sein muss.

Insofern ist es verständlich, dass die Bundesregierung nun von der Politik der ruhigen Hand umschwenkt auf Maßnahmen, die kurzfristig eine Entlastung des Arbeitsmarktes versprechen - man könnte es auch Aktionismus nennen. Verständlich auch, dass sie dabei die im internationalen Vergleich sehr hohe strukturelle Arbeitslosigkeit aufs Korn nimmt, nämlich die rund 1,3 Millionen Langzeitarbeitslosen und die rund 850.000 Sozialhilfeempfänger mit geringer Qualifikation. Sie werden nicht beschäftigt, weil hohe tarifliche Mindestlöhne viele einfache Arbeitsplätze unrentabel gemacht haben. Der Staat soll nun die Lücke zwischen Löhnen, die Anreize zur Arbeit bieten, und der zu niedrigen Produktivität dieser Arbeitsplätze schließen: Das ist die Idee der Sohnsubventionen oder des Kombilohnes.

Dagegen gibt es mindestens drei schwerwiegende Argumente. Arbeitgeber und Arbeitnehmer werden sich auf einen möglichst niedrigen Lohn einigen, um den Einkommensanteil, den der Staat finanziert, zu maximieren. Die Arbeitgeber werden ihre Arbeitskosten zu Lasten der Staatskasse senken, indem sie nicht subventionierte durch subventionierte Arbeitsplätze ersetzen, ohne die Beschäftigung insgesamt zu erhöhen. Und außerdem wird das Interesse an Qualifizierung und Weiterbildung nachlassen, wenn einfache Arbeitsplätze durch Subventionen künstlich rentabel gemacht werden.

Diese Anreizprobleme, die Mitnahme- und Verdrängungseffekte lassen Zweifel aufkommen, ob mit Kombilohnmodellen wirklich nachhaltige Beschäftigungseffekte zu erzielen sind. Selbst das bei der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg angesiedelte Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kommt in Untersuchungen zu dem ernüchternden Ergebnis, dass keines der bereits praktizierten elf verschiedenen Modelle einen empirischen Beleg für den nennenswerten Aufbau von Beschäftigung erbracht hat.

Der Kombilohn ist also mit Sicherheit kein Allheilmittel für den Arbeitsmarkt. Er könnte allenfalls ein Baustein sein - in einem übergeordneten Reformkonzept, das die Deregulierung des Arbeitsmarktes zum Ziel heben muss. Doch dieses Reformkonzept fehlt nach wie vor. Deutschlands Nachbarn haben mit flexiblen Arbeitsmärkten die Konjunkturrisiken und externen Schocks viel besser aufgefangen. Deutschland ist zum Wachstumsrisiko für ganz Europa geworden. Schuld daran ist die allzu ruhige Hand der Regierung - und das wird sich durch einen Schwenk zu unüberlegtem Aktionismus wohl leider nicht ändern.