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Von Bullen und Beeren

20. Januar 2012

Wenn es in Berlin kräht und gackert, grunzt und muht, dann ist Grüne Woche. Die weltgrößte Agrarmesse ist aber nicht nur bunter Publikumsmagnet, sondern auch kritisches Diskussionsforum für die Agrarpolitik.

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Gerd Sonnleitner (Foto: dapd)
Bauern-Präsident Gerd Sonnleitner auf der Grünen WocheBild: dapd

"Curry Cake" aus Thailand, "Bärenfleisch mit Pilzen" aus den Karpaten, "Elkschnaps" aus Schweden und "Krokodil-Burger" aus Australien - das sind nur einige der mehr als 100.000 Delikatessen, die in den 26 Messehallen der Internationalen Grünen Woche angeboten werden. Auch in diesem Jahr ist es eine Schau der Superlative: Mehr als 1600 Aussteller aus 59 Ländern sind nach Berlin gekommen; in den zehn Messetagen werden rund 400.000 Besucher erwartet.

Doch die Grüne Woche ist nicht nur ein auf Hochglanz poliertes Schaufenster der Ernährungswirtschaft. Parallel zum bunten Treiben in den Messehallen finden unzählige Konferenzen und Seminare statt, auf denen auch kritisch über die globale Agrarpolitik und den Verbraucherschutz diskutiert wird. Themen gibt es genug, allen voran die Frage, ob der Wunsch nach immer billigerer Nahrung zu Lasten von Tieren und Natur noch verantwortbar ist.

Charta für Landwirtschaft und Verbraucher

Bundesagrarministerin Ilse Aigner (CSU) wirft einen Apfel hoch. Foto: Maja Hitij/dapd
Ministerin Aigner fordert mehr Nachhaltigkeit in der LandwirtschaftBild: dapd

Der Skandal um den Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung hat das Thema pünktlich zur Grünen Woche in den Mittelpunkt gerückt. Für Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner Grund genug, ein generelles Umdenken zu fordern. Sie sei der Überzeugung, so sagt sie, dass die Land- und Ernährungswirtschaft langfristig nur erfolgreich sein werde, wenn sie das Prinzip der Nachhaltigkeit fest in allen Bereichen verankere. "Wir brauchen eine ökologisch tragfähige, eine ökonomisch existenzfähige, eine sozial verantwortliche und Ressourcen schonende Wirtschaftsweise als Basis für die künftigen Generationen."

Eine Herausforderung, die auch in der "Charta für Landwirtschaft und Verbraucher" festgehalten ist. Das knapp 70 Seiten starke Papier ist aus einer von Aigner initiierten Diskussion zwischen Verbrauchern, Landwirten, Wirtschaftsverbänden, Umweltschützern, Tierschützern und Kirchenvertretern hervorgegangen und beschreibt die Zielkonflikte der nationalen und internationalen Landwirtschaft und Ernährungswirtschaft.

Nachhaltige Landwirtschaft ist nicht zum Nulltarif zu haben. Doch die Mehrheit der deutschen Verbraucher ist extrem preisbewusst und greift nach wie vor zum Billig-Lebensmittel. Solange sich das nicht ändere, sagt Gert Sonnleitner, Präsident des Deutschen Bauernverbandes, werde es für die Landwirte schwer werden, nachhaltig zu wirtschaften. Grundsätzlich könnten die deutschen Landwirte der "Charta für Landwirtschaft und Verbraucher" folgen, so Sonnleitner, für die Tierhalter bedeute sie allerdings "eine schwere Kost". Es werde Umsetzungsschwierigkeiten geben. "Aber wir wollen uns auch im Tierschutz weiterentwickeln", betont der Bauernpräsident.

Massentierhaltung kontra Tierwohl

Nach wie vor werden Ferkeln ohne Betäubung Hoden und Schwänze entfernt und Schweine müssen in engen Mastboxen stehen, in denen sie sich nur Zentimeter bewegen können. Masthähnchen und Puten hocken zu tausenden so dicht nebeneinander, dass Erkrankungen zwangsläufig sind. Wird ein Tier krank, dann wird in der Regel die gesamte Gruppe mit Antibiotika behandelt, anstatt das Einzeltier zu isolieren.

Kurativer Einsatz heißt das und wird von Bauernpräsident Sonnleitner verteidigt. Was für den Hunde- und Katzenhalter gelte, nämlich dass er sein krankes Tier behandeln lassen dürfe, das müsse auch für Nutztierhalter gelten. Die Bildung von resistenten Keimen müsse aber selbstverständlich vermieden werden. "Auch bei Lebensmitteln liefernden Tieren, insbesondere bei Geflügel, ist heute ein Antibiogramm üblich, das heißt, bevor behandelt wird, wird geprüft, ob die Krankheit bei dem Tier mit einem bestimmten Antibiotikum bekämpft werden kann oder nicht." Sein Verband fordere, dass das wirklich überall gemacht und nicht probeweise Antibiotika eingesetzt werde.

Frische Hähnchen in Plastiktüten verpackt und mit Gewichts - und Preisangabe an einem Marktstand. Foto: Frank May dpa
Öko-Geflügel kostet drei Mal mehr als Geflügel aus MassentierhaltungBild: picture-alliance/dpa

"Wir nehmen die Debatte sehr, sehr ernst", sagt Sonnleitner noch. Doch Appelle allein reichen der Landwirtschaftsministerin nicht mehr aus. Neben gesetzlichen Regelungen, mit denen der Einsatz von Antibiotika in der Tierzucht minimiert werden soll, schwebt Ilse Aigner eine einheitliche Kennzeichnung von Lebensmitteln vor, die besondere Standards für tiergerechte Haltung erfüllen.

So einfach wird es aber wohl nicht werden, das sogenannte "Tierwohl"-Siegel durchzusetzen. "Eine verpflichtende Kennzeichnung kann wie immer nur europäisch geregelt werden, da wir ein Binnenmarkt sind. Freiwillige Kennzeichnungen sind theoretisch auch national möglich, aber ich glaube dass es sinnvoll wäre, ähnlich wie beim Biosiegel, sich auf einheitliche Mindeststandards zu einigen", sagt die Ministerin.

Agrarministergipfel zur Welternährung

Indien Hunger Armut
Wie können neun Milliarden Menschen ernährt werden?Bild: AP

Allen Absichtserklärungen zum Trotz darf aber bezweifelt werden, dass industrielle Tierproduktion und Landwirtschaft so schnell zum Auslaufmodell werden. Zu drängend ist mittlerweile auch die Frage, wie eine wachsende Weltbevölkerung ernährt werden soll. Auf der Grünen Woche werden 75 Agrarminister aus aller Welt darüber debattieren, wie angesichts immer knapper werdender Ressourcen absehbar neun Milliarden Menschen gesättigt werden können. 24 alternative Agrarverbände haben anlässlich des Gipfeltreffens bereits eine Demonstration angemeldet. Der Protest steht unter dem Motto: "Wir haben es satt - Bauernhöfe statt Agrarindustrie."

Autorin: Sabine Kinkartz

Redaktion: Peter Stützle