1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Von Aufbruch in Birma kann keine Rede sein"

15. November 2010

Welche Rolle spielt die freigelassene Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi für die Zukunft Birmas? Was bedeutet sie für die Opposition? DW-WORLD.DE sprach mit Hans-Bernd Zöllner vom Asien-Afrika-Institut in Hamburg.

https://p.dw.com/p/Q9JY
Dr. Hans-Bernd Zöllner vom Asien-Afrika-Institut der Universität Hamburg (Foto: Hans-Bernd Zöllner)
Dr. Hans-Bernd ZöllnerBild: privat

DW-WORLD.DE: Herr Zöllner, zuerst die Wahlen – wie kontrolliert sie auch gewesen sein mögen – und jetzt die Freilassung von Aung San Suu Kyi. Befindet sich Birma im Aufbruch?

Hans-Bernd Zöllner: Das wünscht man sich, aber noch ist das wirklich 'wishful thinking', eine reine Wunschvorstellung. Von Aufbruch kann überhaupt keine Rede sein. Wenn sich dort in Sachen Demokratie oder Verbesserung der Lebensverhältnisse etwas zum Besseren bewegt, dann wird das aller Wahrscheinlichkeit nach auch weiterhin sehr langsam gehen.

Warum denn jetzt dieser Schritt von Seiten der Generäle? Ist sich die Junta ihrer Macht so sicher, dass sie in der Freilassung kein Risiko sieht?

Das alles ist ein klassisches Déjà-vu, denn so eine Freilassung hat es schon zweimal gegeben, und das Ritual ist fast dasselbe wie 1995 und 2002. In beiden Fällen war sich die Militärjunta sicher, dass nichts passieren kann, was ihre Machtposition gefährden könnte. U nd das hat sich ja auch immer bestätigt.

Die Tatsache, dass Suu Kyi vor zehntausend Anhängern sprechen konnte, dass so viele Leute sich getraut haben, zu kommen und ihr zuzujubeln – bewegt sich all das im Rahmen dessen, was zu erwarten war?

Ja. Ob es wirklich zehntausend waren, kann ich nicht sagen. Ich kenne den Platz, wo das passiert ist, habe dort gerade erst vor ein paar Tagen gestanden und glaube nicht, dass dort zehntausend Menschen hinpassen. Aber das spielt auch keine Rolle. Es ist ohnehin nur ein Bruchteil der Gesamtbevölkerung von 55 Millionen, die sie dort erreicht hat.

Was kann Aung San Suu Kyi denn jetzt tatsächlich bewegen?

Sehr wenig, unter anderem deswegen, weil sie keine politische Körperschaft mehr hinter sich hat, nachdem ihre Partei, die Nationalliga für Demokratie, offiziell für illegal erklärt wurde. Sie selbst hat dazu beigetragen, indem sie durchgesetzt hat, dass die NLD nicht an den Wahlen teilgenommen hat. Sie ist jetzt nur noch "Bürgerin Suu Kyi" und keine politische Person mehr. Unter diesen Voraussetzungen wird es für sie sehr schwer werden, irgendetwas zu tun, es sei denn, sie findet einen Weg in die politischen Institutionen hinein, die das Militär aufgebaut hat. Es ist aber von außen sehr schwer zu beurteilen, ob sie das tun wird, ob sie das will oder auch tun kann.

Und wie steht es um ihren moralischen Einfluss?

Der ist in den vergangenen 20 Jahren teilweise gewachsen, weil sie – wenn auch vergeblich – versucht hat, eine Veränderung der realen Verhältnisse herbeizuführen. Auf der anderen Seite ist er aber auch gefallen, weil eben überhaupt keine Verbesserung der Lebensverhältnisse im Land eingetreten ist.

Aus ihrem Lager gab es jetzt bei den Wahlen einen Teil ihrer Anhänger, die gesagt haben: Wir wollen real etwas bewirken, auch wenn es nur wenig ist. Deshalb haben sie sich entschlossen, gegen Suu Kyis Empfehlung an den Wahlen teilzunehmen. Ist sie für diesen Kreis noch eine Integrationsfigur oder hat sie da jeden Einfluss verloren?

Einer von diesen Leuten hat gesagt, dass sie weiterhin als die große Führerin des ganzen Landes betrachtet wird. Ich denke, da sitzt der Teufel eher im Detail. Sie hat diese Abspaltung nach glaubwürdigen Berichten als Verrat bezeichnet, und das zeigt ein bisschen die Tendenz, wie sie ihre Partei hat führen müssen. Ich sage mit Absicht 'führen müssen', denn es ging hier um eine sehr starke Kader-Partei. Es tut mir leid, das so ausdrücken zu müssen, aber das war schon fast stalinistisch. Diese Abspaltung der Nationaldemokratischen Front ist ein erstes Stück praktizierter Demokratie in ihrer ehemaligen Partei. Es ist alles sehr kompliziert und sehr verschachtelt in Birma.

Inwieweit ist Aung San Suu Kyi vor diesem Hintergrund eigentlich noch eine einigende Persönlichkeit für die oppositionellen Kräfte? Oder spaltet sie mittlerweile sogar die Opposition?

Letzteres ist passiert. Das ist Fakt. Das Problem Birmas ist seit langem, dass zuviel Wert auf Einheit gelegt werden muss – auch von Suu Kyi selbst. Aber: Je häufiger das Wort Einheit betont wird, desto klarer wird, dass es diese eben nicht gibt. Das ist ein grundlegendes Dilemma des Landes und auch ihrer Möglichkeiten, daran etwas zu ändern.

Das Gespräch führte Mathias Bölinger
Redaktion: Esther Broders

Hans-Bernd Zöllner ist Birma-Experte beim Asien-Afrika-Institut der Universität Hamburg