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Vom Transformationsland zur EU - Lage der Frauen in Polen

3. März 2004
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Bonn, 3.3.2004, DW-RADIO, Charlotte Boetticher

Lange galt der Sozialismus in Polen als Vorbild für die "von oben" verordnete Emanzipation der Frau. 80 Prozent der Frauen waren berufstätig. Der Staat sorgte für ganztägige Kinderbetreuung und Unterstützung junger Familien. Von außen betrachtet sah es tatsächlich so aus, als ob die polnischen Frauen Gleichberechtigung und Unterstützung genossen. Ein Blick hinter die Kulissen zeigt jedoch ein anderes Bild: Frauen wurden für ihre Arbeit meist schlechter bezahlt. Die traditionellen Rollenverhältnisse zwischen Mann und Frau waren genau festgelegt und wurden von der katholischen Kirche stets gefördert. Die berufstätigen Mütter hatten die Doppelbelastung durch Beruf und Haushalt allein zu tragen. Und die gutbezahlten und qualifizierten Berufe waren ohnehin, so Skawka Walszeska, Vorsitzende der Frauenvereinigung Efka, für Frauen tabu:

(Walszeska) "Dass Frauen arbeiten und aktiv sind, das gehört zur polnischen Tradition, aber unter dem Motto, dass Frauen vor allem Mütter sind, denn es gab viele Begrenzungen für Frauen. Im Sozialismus gab es zum Beispiel zehn Berufe, die für Frauen grundsätzlich verboten waren. Und diese Liste von zehn Berufen, die für Frauen verboten wurden, die haben sich fast genau mit der Liste der zehn bestbezahlten Berufen gedeckt. Und diese Begrenzung für Frauen wurde erst im Jahre 1996 abgeschafft."

Seit der Öffnung des Ostblocks vor 15 Jahren kämpfen besonders die Frauen mit der Arbeitslosigkeit. Gerade die Hilfsjobs, die von den Frauen meist ohne spezifische Ausbildung ausgeübt wurden, fielen den Umstrukturierungen in der polnischen Wirtschaft zum Opfer.

Der Blick in den Westen brachte jedoch neue Anregungen und neues Selbstbewusstsein. Die berufliche Karriere und die Bildung der Frauen nahmen einen immer größeren Stellenwert ein und die bislang priviligierten Männerberufe stehen jetzt auch den Frauen offen. Der Polenexperte Janusz Musiak vom Zentrum für Europäische Integration in Bonn weiß, dass viele junge Polinnen der beruflichen und persönlichen Entwicklung inzwischen Vorrang geben, vor der Gründung einer Familie:

"Wir haben bis 1989 diese Möglichkeit nicht gehabt, zur Karriere, zum Aufstieg, und das gilt besonders für Frauen in den großen Städten, also Warschau ist das Paradebeispiel, wo die Frauen, die schon im Alter von 20, 25 Jahren an die Karriere denken, eben diesen Weg einschlagen und die Gründung der Familie nicht mehr in Betracht ziehen, oder es bis sie einen gewissen Grad an Selbstständigkeit erreicht haben, hinausschieben."

Um Karriere-Jobs zu ergattern oder die Selbstständigkeit zu managen setzen vor allem Frauen auf eine gute Ausbildung. 58 Prozent der polnischen Hochschulabsolventen im Jahre 2002 waren weiblich. Aber schützt sie das vor Diskriminierung bei der Jobverteilung? Skawka Walszeska:

"Frauen in Polen sind sehr gut ausgebildet und auch besser als Männer. Frauen sind besser ausgebildet, aber haben weniger Chancen auf dem Arbeitsmarkt."

In den vergangen Jahren hat der Prozentsatz der Frauen in leitenden und öffentlichen Positionen zwar zugenommen, doch die Zahl ist nach wie vor gering. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit wagen deshalb immer mehr den Schritt in die Privatwirtschaft und in die Selbstständigkeit.

(Walszewska) "Gerade Frauen haben sich als sehr aktiv und voller Initiative gezeigt. Jetzt zählen die Frauen in Polen zu den Aktivsten, zu denjenigen, die sehr viele private Unternehmen gegründet haben."

Trotz aller Bemühungen, ihren Platz auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten: die schlechtere Bezahlung ist ihnen genauso gewiss, wie den Frauen in den "alten" EU-Ländern. Im Schnitt verdienen Frauen in Polen ein Viertel weniger als Männer, in der Industrie und auf dem freien Markt sogar 40 Prozent. Viele Polinnen werden in ihrer beruflichen Verwirklichung zusätzlich gebremst - es fehlt an der öffentlich geförderten Kinderbetreuung. Es gibt weder genug Kindergartenplätze, noch ausreichende Nachmittagsbetreuung von Schülern. Und so werden die Frauen mit Kindern doch wieder an den Haushalt gebunden.

Finanzielle Spielräume zur Selbstorganisation gibt es meist nicht. Janusz Musiak berichtet, dass jetzt auch noch der bisherige Anspruch auf Kindergeld eingeschränkt werden soll:

"Bislang war es so, dass jede Familie für jedes Kind ein Kindergeld bekommen hat. Nun, ab dem ersten Mai 2004 wird es spezifiziert. Nur diejenigen, die unter einer bestimmten Grenze Einkommen erzielen, werden das Kindergeld bekommen, alle anderen nicht mehr. Der Staat kann sich also aufgrund der nicht vorhandenen finanziellen Möglichkeiten nicht darum kümmern. Man versucht zwar, durch die Nachmittagsbetreuung der Schüler dieses Problems (der Bindung der Frauen im Haushalt) Herr zu werden. Es ist aber leider dem Staat aufgrund eben dieser (fehlenden) finanziellen Möglichkeiten nicht möglich, so was zu tun."

Trotzdem: das durch patriarchale Strukturen geprägte - und vor allem auf dem Land tief verwurzelte - traditionelle Frauenbild in Polen hat angesichts der gesellschaftlichen Umwälzungen dicke Risse bekommen. Früher, so Skawka Walszeska, hatten die Frauen zwar einen gesicherten Arbeitsplatz, aber keine Berufswahl. Außerdem: heute können die Probleme der Frauen und der Wunsch nach mehr Chancengleichheit in die Öffentlichkeit gebracht werden. Angesichts des bevorstehenden EU-Beitritts war die polnische Regierung ohnehin im Zugzwang: Sie regelte rechtzeitig die Umsetzung der europäischen Gleichstellungsrichtlinien in mehreren nationalen Gesetzen und stärkte damit die Rechtsstellung der Frauen in Polen. (TS)