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Türkischer Verschwörungsprozess

7. Februar 2011

Die Staatsanwaltschaft fordert 51 Jahre Haft für einen ehemaligen Polizeichef - er sei Terrorist, so die Anklage. Er hatte zuvor in einem Buch vor einer Unterwanderung der türkischen Behörden durch Islamisten gewarnt.

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Polizisten schützen das Silivri-Gefängnis in Istanbul zum Beginn des Ergenekon-Prozesses 2008 (Foto: AP)
Das Silivri-Gefängnis in IstanbulBild: AP

Er war der Polizeichef der zentraltürkischen Stadt Eskisehir und kurz nachdem er als Autor sein erstes Buch veröffentlicht hatte, wurde er verhaftet. Die Anklage wirft Hanevi Avci vor, Verbindungen zu Terroristen zu unterhalten - und den Besitz von illegalen Waffen. Am Dienstag (07.02.2011) forderte die Istanbuler Staatsanwaltschaft nun eine 51-jährige Haftstrafe für Avci.

Das Verfahren gegen ihn und 21 weitere mutmaßliche Angehörige einer linksextremen Terrorgruppe namens "Revolutionäres Kommando" soll Mitte April beginnen. Unter den Verhafteten ist auch Avcis Frau. Ihnen wird vorgeworfen, den Umsturz der Regierung unter der pro-islamischen Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) geplant zu haben.

Das "Revolutionäre Kommando" übernahm die Verantwortung für zwei Vorfälle: Einen Granatangriff auf eine Militärkaserne in Istanbul im August 2008, bei der drei Beschäftigte der Stadtverwaltung verletzt wurden, und einen Bombenanschlag auf das Istanbuler Hauptquartier der AKP im Dezember desselben Jahres, bei dem zehn Menschen verletzt wurden.

Demonstranten halten Plakate hoch, in denen sie gegen den Ergenekon-Prozess protestieren (Foto: dpa)
Nationalistische Demonstranten protestieren 2008 gegen den Ergenekon-ProzessBild: picture-alliance/ dpa

Wer verschwört sich gegen wen?

Brisant an der Anklage ist, dass Avci kurz vor seiner Verhaftung ein Buch veröffentlicht hatte, in dem er davor warnte, dass eine umstrittene muslimische Gruppierung die Sicherheitskräfte und Teile des türkischen Justizapparates unterwandert hätte. Diese stünde dem islamischen Prediger Fethullah Gülen nahe.

Avci hatte in seinem Buch dargelegt, wie die Gülen-Unterstützer gezielt vermeintliche Putschpläne veröffentlicht und dabei Massenverhaftungen von Soldaten und anderen Beamten vorangetrieben hätten, die sich für den Schutz der säkularen Tradition der Türkei stark gemacht haben.

Dabei äußerte Avci auch Zweifel an der Glaubwürdigkeit der so genannten Ergenekon-Verschwörung - ein Putsch-Plan säkularer Nationalisten gegen die AKP Regierung von Premierminister Recep Tayyip Erdogan. 56 Gegner der AKP, darunter hochrangige Militärangehörige sowie ein Politiker und Journalisten waren im Rahmen der Ermittlungen um die vermeintliche Verschwörung festgenommen und 2008 angeklagt worden.

Unterstützer der AKP-Regierung demonstrieren gegen die Angeklagten der mutmaßlichen Ergenekon-Verschwörung (Foto: dpa)
Unterstützer der Regierung protestieren gegen die mutmaßlichen PutschistenBild: picture-alliance/Bildfunk

Kontroverse um "Wohlstands-Bewegung"

Avci bestreitet die Vorwürfe, er sei ein Terrorist. Er beteuert, dass er vor Gericht stünde, weil er sich als Gegner des Predigers Gülen bekannt habe. Gülen, der seit 1999 in den USA lebt, leugnet allerdings eine Verwicklung in die Affäre.

Die Wohlstands-Bewegung von Gülen ist in der Türkei angesehen, weil sie hunderte gut ausgestatteter Privatschulen gegründet hat. Darin wird eine Verbindung traditioneller islamischer Werte mit modernen Wissenschaften gelehrt. Die Verteidiger einer säkularen Türkei werfen der Bewegung hingegen vor, insgeheim die staatlichen Institutionen zu infiltrieren und die Türkei dadurch zu islamisieren. Gülen selbst wurde von diesem Vorwurf jedoch 2006 vor Gericht freigesprochen.

Autor: Fabian Schmidt (mit afp)
Redaktion: Nicole Scherschun