1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Vom Recht auf ein stilles Örtchen

Claudia Witte19. November 2012

Für Nahrungsmittel und Wasser finden Hilfsorganisationen eher Spender als für Sanitäranlagen. Dabei haben weltweit zweieinhalb Milliarden Menschen immer noch keinen Zugang zu sauberen und sicheren Toiletten.

https://p.dw.com/p/16lRa
Toilettenhäuschen in Goma (Foto: UNHCR / S. Schulman)
Bild: UNHCR/S.Schulman

Wenn es schnell gehen muss, dann heben die Helfer auch schon mal einen schmalen Graben aus. Über den können sich dann bis zu fünfzehn Personen gleichzeitig hocken und ihre Notdurft verrichten. Dieser Typ von Toilette ist ganz und gar nicht beliebt, aber in Krisen- und Katastrophensituationen darf man nicht wählerisch sein. "Wenn es um Katastrophenhilfe geht, sind wir letztendlich immer in Verzug", erklärt Paul Shanahan, der im Auftrag des Kinderhilfswerks Unicef humanitäre Einsätze im Bereich Wasser, Sanitärversorgung und Hygiene, kurz WASH, koordiniert. "Toiletten zu bauen, gehört zu den teuersten und zeitaufwändigsten Hilfsmaßnahmen", weiß er aus Erfahrung.

Humanitäre Nothilfe ist mehr als das Verteilen von Nahrungsmitteln, Decken und Zelten. "Sanitäreinrichtungen sind wichtig", sagt Paul Shanahan im DW-Interview. "Du musst die menschlichen Exkremente gründlich entsorgen, da sie möglicherweise ansteckend sind. Wenn die Quelle einer Infektion ihren Weg in die Bevölkerung findet, dann können sich Krankheiten ausbreiten." Unter den beengten Verhältnissen von Flüchtlings- und Auffanglagern ist die Gefahr von Cholera-Epidemien und lebensbedrohlichen Durchfallerkrankungen allgegenwärtig.

Paul Shanahan ist der Koordinator für den Bereich Wasser, Sanitärversorgung und Hygiene (WASH) bei Unicef (Foto: DW)
Toiletten sind teuer, erzählt Paul Shanahan, der humanitäre Einsätze für Unicef koordiniertBild: DW

Grube statt Spülung

In Entwicklungsländern haben viele Menschen bis heute keinen Zugang zu Toiletten und müssen ihre Notdurft im Freien verrichten. Hilfsorganisationen bemühen sich, die Bewohner von Flüchtlingslagern von dieser Gewohnheit abzubringen, ohne allerdings gleich die Hygienestandards reicher Länder einführen zu wollen. Die von ihnen eingerichteten Standardtoiletten bestehen aus einer tiefen Grube, über die eine Plattform mit einer Öffnung im Boden installiert ist. Aufbauten aus Plastikplanen, Holzwänden oder Ziegelsteinen bieten Sichtschutz und sorgen für ein Minimum an Privatsphäre. Es gibt unzählige Modellvarianten. In jedem Fall aber müssen die Latrinen abseits der Unterkünfte und Zelte errichtet werden und nach Geschlechtern getrennt sein.

Latrinen sollen möglichst einen Standard aufweisen, den die Nutzer gewohnt sind und der in der Umgebung der Flüchtlingslager üblich ist, erklärt Paul Spiegel vom Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) in Genf. Und das bedeutet in der Regel den Verzicht auf Wasserspülung und Anschluss an ein Abwassersystem. "Häufig entspricht eine einzige Toilettenspülung der Menge Wasser, die Flüchtlinge an einem Tag zugeteilt bekommen."

Händewaschen trotz Wasserknappheit

Hilfsorganisationen setzen sich dafür ein, dass ein Teil der knappen Wasserressourcen zum Händewaschen nach dem Stuhlgang verwendet wird. Denn der Bau der besten Latrinen nutzt wenig, wenn die Benutzer nicht gleichzeitig auch andere grundlegende Hygieneregeln einhalten. "Ich habe im Laufe der Jahre gelernt, dass die Aufklärung über Hygienemaßnahmen und das Wissen um die Art und Weise, wie Menschen die Latrinen benutzen, eben so wichtig ist wie der Bau von Latrinen selbst", sagt Paul Spiegel, der für das UNHCR in Krisensituationen rund um den Globus im Einsatz war. "Es kommt durchaus vor, wenn du Latrinen ohne Rücksprache mit der Gemeinschaft baust, dass sie unbenutzt bleiben. Das ist doch die reinste Vergeudung!"

Das UNHCR setzt in Flüchtlingslagern lokale Helfer ein, die Neuankömmlinge vom ersten Tag an mit einfachen Hygienemaßnahmen bekannt machen und ihnen den korrekten Umgang mit den sanitären Anlagen erklären. Noch bevor die Hilfsorganisationen mit dem Bau von Latrinen beginnen, erkundigen sie sich bei den künftigen Nutzern nach ihren Wünschen und Gewohnheiten. Und diese laufen stets auf zwei Aspekte hinaus: persönliche Sicherheit einerseits sowie Privatsphäre und menschliche Würde andererseits. "Wenn du Latrinen und Toiletten errichtest, ohne mit der Bevölkerung gesprochen zu haben, besteht die Gefahr, dass du sie an unangemessene Orte stellst", führt Paul Spiegel aus. " Sexuelle und körperliche Gewalt könnten die Folge sein."

Männer im Doro Flüchtlingscamp in Südsudan bauen eine neue Latrine (Foto: UNHCR / B. Sokol)
Männer im Doro Flüchtlingscamp in Südsudan bauen eine neue LatrineBild: UNHCR/B.Sokol

Toiletten unattraktiv für Spender

Niemand kennt das genaue Ausmaß, aber alle humanitären Helfer wissen von Frauen und Mädchen, die beim nächtlichen Gang zur Latrine vergewaltigt wurden. Das Problem sei erkannt, beteuern sowohl Paul Shanahan wie auch Paul Spiegel. Die Erfahrung zeige inzwischen, dass schon einfache bauliche Maßnahmen Schutzwirkung entfalten können. Die Toiletten dürften nicht an abgelegenen Orten errichtet werden. Sie müssten Privatsphäre ermöglichen und mit Sichtschutz ausgestattet sein, ohne allerdings möglichen Angreifern Deckung zu bieten. Eine gute Beleuchtung sei unerlässlich.

Paul Spiegel (Foto: UNHCR / Fatoumata Lejeune-Kaba)
Händewaschen ist so wichtig wie die Latrinen, so Paul Spiegel vom UN Hochkommisariat für Flüchtlinge, UNHCRBild: UNHCR/Fatoumata Lejeune-Kaba

Obwohl die Wichtigkeit von sauberen und sicheren Toiletten grundsätzlich bekannt sei, würden viele Spender und Geldgeber diesen Bereich eher stiefmütterlich behandeln, stellt Paul Shanahan von Unicef fest. So sei der Spendenaufruf der Vereinten Nationen für die humanitäre Hilfe in der Sahelzone inzwischen zwar zu erfreulichen 65 Prozent finanziert, der Unterbereich 'Wasser, Sanitärversorgung und Hygiene' weise allerdings nur eine Deckung von unter 30 Prozent auf. Wenn es um den Zugang zu sauberen Toiletten geht, ist in der Nothilfe noch viel zu tun.