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Vom Primus zum Schlusslicht

Alexander Kudascheff6. Februar 2002

Brüssels blauer Brief an die deutsche Regierung wegen der bedenklichen Situation der Staatsfinanzen bedeutet, dass Deutschlands Versetzung gefährdet ist. Das meint zumindest DW-Korrespondent Alexander Kudascheff.

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Es ist wie in der Schule. Beim Zeugnis gibt es schlechte Noten - Fünfen in Mathe, Physik, Chemie, Latein oder in den Leistungskursen - und wer ist schuld? Der Lehrer, oder noch besser: die Lehrer im besonderen und im allgemeinen. Sie sind zu streng, sie sind ungerecht, sie mögen einen aus undurchsichtigen Gründen (man ist frech, selbstbewusst, aufmüpfig, anarchisch) nicht. Also sind alle Noten nicht das Zeugnispapier wert, auf dem sie stehen. Und im übrigen: nächstes Jahr wird es besser, denn dann wird der Schüler fleißiger, es kommen neue Lehrer oder das Sitzen bleiben wird abgeschafft.

So ist es auch in der hohen Politik. Selbst in Europa. Da haben die Deutschen zu viele Schulden gemacht, damit die Kriterien des Stabilitätspakts für den EURO verletzt (den sie im übrigen selbst erfunden haben) und haben von Brüssel ein schlichtes "Setzen, Fünf, Mangelhaft" erhalten. Soweit so schlecht. Doch nun ist Wahlkampf - und da sind schlechte Noten erstens ungerecht, zweitens ungerechtfertigt, drittens bösartig und können nur vom unbekannten Gegner (einem echten Heckenschützen) kommen. So sieht es jedenfalls der deutsche Bundeskanzler.

Sein Finanzminister - zuständig und verantwortlich für das Defizit - hat es immerhin knurrend zur Kenntnis genommen (und wollte vielleicht dagegen angehen). Schröder sieht es anders. Das sind keine ökonomische Gründe, murmelt er, und unterstellt der Kommission politische Bösartigkeit. Nun, im Wahlkampf ist Holzen erlaubt und oberste Politikerpflicht. Doch wer in Brüssel sollte am deutschen Defizit schuld sein? Wer trägt die Verantwortung für die schlechte Note? Pedro Solbes, fürs Geld zuständiger Kommissar, ein Spanier, aber ein Genosse. Will er wirklich Stoiber helfen? Da bleibt nur der Generaldirektor Regling. Er ist ein Waigelmann, allerdings von der jetzigen Regierung nach Brüssel gesandt. Warum sollte er? Um nach Berlin zurückzudürfen? Das versteht nur der Berliner, der Brüsseler nicht. Weil er die Allmacht des europäischen Beamten zeigen will, die Bodo Hombach gerade (zu Recht!?) kritisiert hat? Das wäre ein Anliegen, aber was haben die Schulden damit zu tun? Oder wollte er Solbes desavouieren? Und da wiederum, warum? Frage über Fragen. Sie ändern eins nicht: Deutschlands Versetzung ist gefährdet. Aus dem einstigen Primus wurde das Schlusslicht.