Vom Krippenspiel zum Theater
14. Dezember 2010Viel Weihrauch, ein dunkler, von Kerzen erleuchteter Raum und lauter Darsteller in festlichen Kostümen – Das verbindet der Berliner Schauspieler Stephan Szasz nicht nur mit Weihnachten und dem Krippenspiel. "Für mich war es der Anfang meiner Karriere als Schauspieler", erzählt er. "Beim Krippenspiel konnte ich plötzlich real erleben, was ich sonst nur aus den biblischen Erzählungen kannte." Seine ersten Schritte als Darsteller machte Szasz als einer der Heiligen drei Könige.
Heute spielt Szasz auf den Bühnen der großen deutschen Theaterhäuser und ist regelmäßig in Fernsehfilmen zu sehen. Den Weg von der Kirche zum Theater sind zahlreiche Schauspieler und Regisseure gegangen, von Christoph Schlingensief und Tankred Dorst bis hin zu Ulrich Tukur und Mario Adorf. Danach aber haben viele mit der Kirche kaum noch etwas zu tun gehabt. "Viele Jahrzehnte gab es eine kritische Distanz zwischen beiden Institutionen", sagt Jakob Johannes Koch, Kulturreferent der katholischen Deutschen Bischofskonferenz in Bonn. "Seit gut zehn Jahren aber beobachten wir eine neue Nähe."
Suche nach Sinn und Orientierung
Als Beispiele nennt Koch das Maxim Gorki-Theater in Berlin und das Schauspielhaus Wien, die sich in diversen Stücken mit den zehn Geboten beschäftigt haben. Das Hamburger Thalia-Theater habe in dem Stück "Der Bus" die Suche einer Pilgerin nach dem wahren Glauben thematisiert. Einen Grund für das zunehmende Interesse des Theaters an religiösen Themen sieht Koch in den Terroranschlägen des 11. September 2001.
Das Theater sucht offenbar stellvertretend für die Gesellschaft nach Sinn, Orientierung und Werten angesichts ungelöster gesellschaftlicher Fragen", meint er.
Im Gegenzug öffneten die Kirchen öffneten zunehmend ihre Räume für professionelle Inszenierungen.
Jahrzehntelange kritische Distanz
Viele Jahrzehnte lang war das anders. Schon die Christen der Antike lehnten das Theater als "Hort des sittlichen Verfalls" ab, weil es heidnische Götter auf die Bühne brachte. Im Mittelalter dagegen stand es ganz im Dienst der Kirche. Oster- und Passionsspiele mahnten die Menschen, ein gottesfürchtiges Leben zu führen.
Während der Aufklärung emanzipierte sich das Theater wieder von der Religion und schuf sich eigene Häuser, in denen es Kirche und Glauben in Frage stellte.
In den siebziger Jahren erlebte die kritische Distanz zwischen Kirche und Theater schließlich ihren Höhepunkt mit Rolf Hochhuths Stück "Der Stellvertreter", in dem er die Rolle des Papstes während des Holocausts hinterfragte.
Experimentierfreude im Kirchentheater
In den Kirchengemeinden entwickelte sich zeitgleich eine breite Amateurtheaterbewegung. "Mit Texten wurde frei subjektiv und assoziativ umgegangen", erzählt Klaus Hofmann, Leiter des evangelischen Arbeitskreises Kirche und Theater in Hannover. Die Experimentierfreude gipfelte im Bibliodrama, das in den achtziger Jahren sowohl in der evangelischen wie katholischen Kirche boomte. Dabei spielten die Laienschauspieler eine biblische Geschichte nicht textgetreu nach, sondern brachten ihre eigenen Lebenserfahrungen in die Rolle mit ein.
Angesichts der Wirtschaftskrise und Finanznot ist vielen Kirchengemeinden der Spaß am eigenen Theaterspiel offenbar vergangen. Nur Weihnachten und Ostern gibt es mit den Krippen- und Passionsspielen noch zahlreiche Aufführungen. Hofmann bedauert das – besonders in Zeiten drängender interreligiöser Fragen. "Unsere Auseinandersetzung mit dem Islam gehört auf die Bühne", sagt er. "Das haben leider weder die Kirchen noch die professionellen Theater erkannt."
Einen Anfang könnte sogar das Krippenspiel machen, meint er. Mit den heiligen drei Königen aus dem Morgenland.
Autorin: Sabine Damaschke
Redaktion: Conny Paul