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Volksverhetzung wird in Ungarn strafbar

16. Dezember 2003
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Budapest, 15.12.2003, BUDAPESTR ZEITUNG, deutsch

Kein anderes Gesetz hat eine so intensive Diskussion ausgelöst wie das am vergangenen Montag (8.12.) vom Parlament mit knapper Mehrheit angenommenes Gesetz über die Strafbarkeit der Volksverhetzung. Dies spiegelt sich am Abstimmungsergebnis wieder: 184 Abgeordnete stimmten mit Ja, 180 mit Nein. Die Debatte spaltete selbst die Reihen des MSZP-(Ungarische Sozialistische Partei – MD) Koalitionspartners SZDSZ (Bund Freier Demokraten – MD).

Künftig gilt Volksverhetzung als Straftat, nicht mehr als Ordnungswidrigkeit. Wer öffentlich gegen irgendeine Gruppe wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Nation, ethnischen Gruppe oder Religion hetzt oder zu Gewalthandlungen aufruft, kann mit Freiheitsentzug bis zu drei Jahren geahndet werden. Der viel diskutierte Gesetzesentwurf wurde dahingehend modifiziert, dass der Ausdruck "Hetze" durch das Wort "Aufwiegelung" abgelöst wurde.

Anlass für die Diskussion über die Berechtigung des Gesetzes bildete das Problem, ob es demokratisch ist, das Recht auf freie Meinungsäußerung einzuschränken - selbst im Fall seines Missbrauchs. Am intensivsten wurde die Diskussion in den Reihen des liberalen SZDSZ geführt. Anfangs war die Partei geschlossen gegen den von den Sozialisten initiierten Gesetzesvorschlag. Die Freien Demokraten argumentierten, dass die bestehenden Gesetze ausreichten, um krasse Übertretungen zu ahnden.

Außerdem bezweifelten die Liberalen die Wirksamkeit des neuen Gesetzes. Niederträchtige Äußerungen könnten so verpackt werden, dass sie strafrechtlich nicht bekämpft werden können. Justizminister Péter Bárándy widersprach: "Hier stoßen zwei Grundrechte aufeinander, das Recht zur freien Meinungsäußerung und das Recht auf Menschenwürde. Zum Schutz des letzteren ist das erste zu beschränken".

Als ein Gericht vor wenigen Wochen den ehemaligen MIÉP (Gerechtigkeitspartei – MD)-Abgeordneten Lóránt Hegedus junior vom Vorwurf des Antisemitismus freigesprochen hatte, änderte sich die Meinung einiger Freidemokraten. Das Urteil bewirkte das Umschwenken der Hälfte der SZDSZ-Abgeordneten, ohne die der Gesetzesvorschlag die nötige Mehrheit nicht erreicht hätte. Die andere Hälfte der Liberalen blieb auch nach dem Urteil skeptisch. Sie befürchten, dass den Rechtsradikalen ein Märtyrer geradezu wünschenswert wäre.

Der SZDSZ-Abgeordnete Péter Gusztos machte gegen den Gesetzesvorschlag mit dem Argument Front, dass tagtäglich auf der politischen Bühne etwas gegen Volksverhetzung getan werden könne - und dies wirksamer als durch Gesetze. Er erinnerte daran, dass im Frühling eine kleine Gruppe von SZDSZ-Abgeordneten mit einer Demonstration die Öffentlichkeit darauf aufmerksam machen konnte, dass Ex-Ministerpräsident Viktor Orbán nichts in einem rechtsradikalen Radiomagazin zu suchen habe. Gusztos zufolge konnte die Fidesz(Bund Junger Demokraten – MD)-MDF(Ungarisches Demokratisches Forum – MD)-Koalition nur abgelöst werden, weil die Bürger keine Partei am Steuer sehen wollten, die mit Rechtsradikalen kokettiere.

Ob das jetzt beschlossene Gesetz in Kraft tritt, ist allerdings noch unsicher. Der SZDSZ-Vorsitzende Gábor Kuncze bat Staatspräsident Ferenc Mádl, das Gesetz ohne eine vorherige Normenkontrolle durch das Verfassungsgericht nicht zu unterschreiben. Falls Mádl dem nicht nachkommt, werde die Regierung selbst den Verfassungsgerichtshof anrufen, teilte Kuncze mit. (fp)