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Interview mit Volkmar Clauß

Katrin Schlusen15. März 2013

Wie kam der deutsche Theatermacher dazu, eine Schauspielschule in Ramallah mit aufzubauen? Volkmar Clauß berichtet im Interview von seiner Arbeit und erklärt, warum auch deutsche Studenten von dem Projekt profitieren.

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Volkmar Clauß, Projektmanager der Schauspielschule in Ramallah (Palästina); Copyright: privat
Volkmar ClaußBild: privat

DW: Wie kommt man als deutscher Theatermann dazu, Projektmanager einer Schauspielschule in Ramallah zu werden?

Volkmar Clauß: 2002 habe ich die Arbeit als Intendant aufgegeben und konnte mich seitdem mehr um meine "Hobbys" kümmern, dazu gehören die Pflege von Kultur- und Theaterkontakten in Israel und Palästina. Ich hatte und habe vor allem sehr gute Kontakte zum israelischen Theater. Ich habe dort sehr viele Freunde und bin regelmäßig da, um mir Aufführungen und neue Stücke anzuschauen. Mit Freunden aus beiden Ländern wurde das Projekt diskutiert. Es gibt eine ganze Reihe israelisch-arabischer Schauspieler, die in Israel wohnen. Die haben den Kontakt nach Ramallah zum "Al-Kasaba"-Theater vermittelt: Zu George Ibrahim, der schon lange davon geträumt hat, eine Schauspielschule zu eröffnen.

Warum brauchte das Westjordanland eine eigene Schule?

Die Palästinenser hatten keine Möglichkeit, sich gut ausbilden zu lassen. Sie können bis auf wenige Ausnahmen nicht nach Israel. Dort gibt es sehr gute Schulen, aber da können sie nicht hin. Folglich war die Idee, dass man eine Schauspielschule in der Westbank, also auf palästinensischem Boden gründen sollte.

Sie haben die Idee im kleinen Kreis entwickelt. Wie ging es dann weiter?

Wir haben in Ramallah mit den Verantwortlichen diskutiert. Und da ich nur eine Privatperson bin, brauchten wir natürliche eine große Organisation aus Deutschland, die das Projekt zu ihrer eigenen Sache macht. Und das wurde die Folkwang Universität der Künste, die das Projekt als Patenschule fördert und die Ausbildung in Ramallah mit fachlichem Rat unterstützt.

Eine Probe an der Schauspielschule Ramallah, der Partnerschule der Folkwang Universität der Künste in Essen.
Probe an der Schauspiel-Akademie RamallahBild: Folkwang Universität der Künste

Sie haben auch viele Kontakte zum israelischen Theater. Wie haben ihre Bekannten dort auf dieses Projekt reagiert?

Die meisten Theaterleute in Israel, die ich kenne, sind davon sehr angetan und würden am liebsten mitarbeiten und unterrichten. Aber die politische Realität ist leider anders.

Welche Erinnerungen haben Sie an den ersten Schultag?

Wir waren alle sehr froh, als es nach der langen und komplizierten Vorarbeit endlich losging. Diese Schule ist ein ganz ungewöhnliches Projekt für Ramallah. Das Theater in Palästina hat keine sehr lange Tradition. Die arabische Tradition ist eher durch das Erzählen, Poesie und Musik bestimmt. Aber es gibt ein beachtliches Interesse am Theater. Und die Studierenden wollen nun über eine akademische Ausbildung, wie ihre Kollegen überall auf der Welt, erreichen, dass sie die Voraussetzungen zum professionellenSchauspieler erwerben, die im In- und Ausland Theater spielen, für das Fernsehen arbeiten oder Filme machen können. Die Studenten des ersten Jahrgangs haben vor einem halben Jahr ihre Bachelor-Prüfung gemacht – das war ein sehr emotionaler Moment für uns alle.

Die meisten der Schüler sind männlich. Warum?

Die Förderung von Frauen ist uns sehr wichtig. Das sind dicke Bretter, die in dieser Gesellschaft zu bohren sind. Unter den ersten Abgängern im vergangenen Jahr waren trotz großer Bemühungen noch keine Studentinnen. Jetzt aber - im Sommer 2013 - werden unter den neun Abgängern drei Schauspielerinnen sein. Das bedeutet viel und ist ein wirklich schöner Erfolg.

Sie brauchen pro Jahr etwa 190.000 Euro um den Unterricht zu finanzieren - woher bekommen Sie die Mittel?

Die Finanzierung der Schule ist bis 2015 annähernd gesichert. Es gibt eine Mischfinanzierung: Die Stiftung Mercator, das Auswärtige Amt und die Folkwang Universität tragen einen wesentlichen Teil bei. Und es läuft ein Antrag bei der palästinensischen "Welfare Association", das ist eine Hilfsorganisation, von der wir in Kürze eine positive Zusage erwarten. Die soll ein Drittel des Fehlbetrages übernehmen. Die ersten drei Jahre der Schule wurden fast ausschließlich von der Stiftung Mercator finanziert.

Al-Kasaba; Das Theater, Kino und die Schaupiel-Akademie in Ramallah. (Ramallah, 2012, Ulrike Schleicher)
An das Theater und Kino Al-Kasaba angegliedert: die Schauspiel-Akademie RamallahBild: DW/U. Schleicher

Im April kommen die Studierenden zum Shakespeare-Festival nach Essen. Sie zeigen Romeo und Julia auf Arabisch. Was können deutsche Schauspielstudenten von ihren Kommilitonen aus Ramallah lernen?

Sie lernen andere Kulturtraditionen kennen. Mein Kollege und Mitstreiter von der Folkwang Universität, Johannes Klaus, bestätigt mir immer wieder, dass es für die deutschen Studierenden und die deutschen Lehrer ganz wichtige Erfahrungen sind. Und umgekehrt gilt das auch für palästinensischen Gäste. Die Kontakte, die sich bei den gegenseitigen Besuchen und Austausch-Gastspielen beider Schulen ergeben haben, sind für beide Seiten unendlich wichtig.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Theaterschule in Ramallah?

Dass die Schule dauerhaft bestehen und wachsen kann. Das Ziel muss sein, dass es irgendwann in Palästina eine Hochschule für alle darstellenden Künste gibt: Film, Theater, Tanz, Medien – alles unter einem Dach. Diese wird dann hoffentlich von einem neugegründeten Staat getragen oder mitgetragen. Das wäre der Traum. Ob und wann die Politik im Nahen Osten ihn mitträumen wird, ist eine andere Frage.

Volkmar Clauß (71) war Intendant in Ulm, Kiel und Heidelberg und war geschäftsführender Direktor der staatlichen Schauspielbühnen Berlin. Seit 2002 arbeitet er freiberuflich unter anderem als Dramaturg, Autor und Übersetzer. Er reist etwa alle vier Monate nach Ramallah.