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"Schon richtig deutsch"

2. November 2011

Mehmet Celebgioglu ist in den 1960er Jahren als einer der ersten Türken nach Deutschland gekommen. Seinen türkischen Pass hat er heute noch, doch an Rückkehr dachte er in den vergangenen Jahren nur ein einziges Mal.

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55 türkische Gastarbeiter kommen im November 1961 in Düsseldorf an: Sie sind die ersten von 400 Bergleuten aus der Türkei, die sich für ein Jahr in Deutschland verpflichtet haben. (Foto: dpa)
Ankunft der ersten türkischen Gastarbeiter in Deutschland im November 1961Bild: picture-alliance/dpa

Der Weg aus der Türkei nach Deutschland liegt lange zurück, und doch erinnert sich Mehmet Celebgioglu noch ganz genau: "Wir sind fünf oder sechs Tage gefahren, der Zug war voll. Wir haben meistens gestanden und kaum geschlafen." Im Frühjahr 1964 kommt der gelernte Dreher aus Istanbul am Münchner Hauptbahnhof an. Von dort reist er weiter nach Hamburg, wo er auf der Werft bei Blohm und Voss anfangen wird. Ein Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei von 1961 machte dies möglich.

Türkische Gastarbeiter im BMW-Motorradwerk (Foto: dpa)
Türkische Gastarbeiter im BMW-MotorradwerkBild: picture alliance/dpa

Gut organisierte Anwerbung

Celebgioglu ist damals 23 Jahre alt "und topfit", wie er lachend erzählt. Das musste er auch sein, denn nur solche Arbeitskräfte waren in Deutschland erwünscht. Mit deutscher Gründlichkeit wurden die neuen Männer und Frauen untersucht. "Wir mussten uns nackt ausziehen, wurden geröngt und mussten unsere Zähne zeigen."

Celebgioglu ist mit anderen Männern in einem Wohnheim untergebracht. Von dort fährt er jeden Morgen pünktlich um kurz vor sechs Uhr mit der Straßenbahn zur Werft. Er schläft in einem Mehrbettzimmer, die Toilette ist im Erdgeschoss, duschen muss er bei der Arbeit.

Frühe Parallelgesellschaft

Gedankenverloren steht er heute vor der grau gestrichenen Villa mit dem gepflegten Vorgarten. Schon damals ist Klein-Flottbek in Hamburg eine bessere Wohngegend gewesen. Doch auch wenn die Deutschen direkt gegenüber wohnen, die Türken haben keinen Kontakt zu ihnen. Sie sprechen die Sprache nicht, arbeiten viel und bleiben ebenfalls unter sich. "Abends haben wir uns entweder Brot in einem kleinen Laden gekauft oder wir sind auf die Reeperbahn gegangen, weil es dort den einzigen türkischen Imbiss gab", erzählt Celebgioglu.

Muss er sich auf Deutsch verständigen, nimmt er das Wörterbuch zur Hand. Irgendwie sei es immer gegangen, aber ohne einen Kurs habe er die Sprache eben nie richtig gelernt, sagt er mit einem leichten Bedauern in der Stimme.

Der türkische Arbeitsminister Ali Naili Erdem (l.) 1964 im Gespräch mit seinen bei Ford in Köln beschäftigten Landsleuten (Foto: dpa)
Der türkische Arbeitsminister Ali Naili Erdem (l.) 1964 im Gespräch mit seinen bei Ford in Köln beschäftigten LandsleutenBild: picture alliance/dpa

Das kleine Glück

Insgesamt hat Celebgioglu jedoch eher gute Erinnerungen an seine ersten Jahre in Deutschland. Verschmitzt lächelnd zeigt er Fotos, auf denen er mit einem deutschen Mädchen im Arm posiert. Er mochte die deutschen Frauen, auch wenn er letztlich lieber eine Frau aus der Türkei geheiratet hat. Mit Hatun zieht er vier Kinder groß. Und obwohl beide ihr Leben lang einfache Arbeiter waren, haben sie die Bildung ihrer Kinder immer gefördert. Alle haben studiert, eine Tochter ist zum Beispiel angehende Lehrerin, eine andere arbeitet als Ärztin.

Nur einmal will die Familie zurück in die Türkei gehen. 1984 ist der Hausstand in Kisten verpackt und Richtung Istanbul verschifft, doch als Hatun zunächst allein mit den Kindern vorfahren soll, zieht sie die Notbremse: Entweder alle oder keiner: "Und so sind wir hiergeblieben."

Seit damals leben sie in Hamburg-Altona, dort ist ihr Zuhause. Fotografieren lassen möchten sie sich lieber nicht. Inzwischen sind beide in Rente, sind Großeltern, nur ein Sohn lebt noch zu Hause. Noch immer spürt man zwischen den Ehepartnern eine tiefe Liebe und Respekt füreinander. Nachmittags spaziert das Paar gern Hand in Hand durch den Stadtteil.

Rundum integriert

Manchmal fährt Mehmet Celebgioglu auch heute noch ins gediegene Klein-Flottbek. Dann ist er jedoch als Gast eingeladen: Bei den Schwiegereltern seiner Tochter Funda. Sie leben dort in einer der vornehmen Villen. Dass es ihre Kinder so weit gebracht haben, macht das Ehepaar stolz, wissen sie doch, dass es viele Vorurteile über Türken gibt. Bildungsfern, integrationsunwillig, konservativ, um nur einige Schlagwörter zu nennen.

Auf seine Familie treffe all' das nicht zu, sagt Celebgioglu. Er habe zwar noch seinen türkischen Pass, seine Frau koche türkisch, aber "vieles an mir ist schon richtig deutsch". Und dann lacht er wieder aus vollem Herzen.

Autor: Kathrin Erdmann
Redaktion: Arne Lichtenberg

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