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Viele Spanier verlieren ihr Dach überm Kopf

16. August 2011

Zu wirtschaftlichen Boomzeiten erfüllten sich viele Spanier den Traum von den eigenen vier Wänden - auf Kredit. Nun sind rund 20 Prozent arbeitslos, können ihre Kredite nicht mehr abzahlen. Die Folge: Zwangsräumung.

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Ein Mann steht mit einem Schild vor einem besetztem Haus (Foto: DW)
In diesem besetzten Haus sollen bald die unterkommen, die keine Bleibe mehr habenBild: DW

Die Polizei musste klein beigeben, als sie vor ein paar Wochen die Wohnung von Pati zwangsräumen wollte. Denn Pati hatte sich Hilfe geholt: Ein Dutzend junger Menschen war zur Unterstützung in ihrer Wohnung. Sie waren der Polizei zahlenmäßig überlegen und konnten die Zwangsräumung verhindern. Fürs Erste.

Die 40-jährige Pati will nur bei ihrem Vornamen genannt werden. Die gebürtige Nigerianerin und ihr Ehemann kamen vor 14 Jahren nach Mallorca. Drei Kinder hat das Paar inzwischen, das jüngste noch im Säuglingsalter. Mit ihrer energischen Stimme erzählt Pati, warum ihre Wohnung zwangsgeräumt werden sollte: "Mein Mann hat seit vier Jahren keine Arbeit mehr, und inzwischen auch keinen Anspruch mehr auf Arbeitslosengeld. Auch ich habe meine Arbeit verloren. Wir konnten unseren Kredit für die Wohnung nicht mehr abzahlen."

Ein paar Monate vergingen, dann ging Pati zu ihrer Bank, um eine Lösung für ihre Finanzprobleme zu finden - schließlich hatte sie die Wohnung fast abbezahlt. Doch was sie zu hören bekam, war ein Schock: Ihr Konto sei bereits geschlossen, der Fall liege schon beim Rechtsanwalt. Den habe sie dann versucht anzurufen - vergeblich.

Protestbewegung hilft

Daniel küsst Pati auf die Wange im Büro der Protestbewegung (Foto: DW)
Lichtblick für Pati im Büro der ProtestbewegungBild: DW

Pati sitzt auf einem Hocker im mallorquinischen Büro der spanischen Protestbewegung "15. Mai", benannt nach ihrem Gründungstag. Hier sitzt sie oft. Sie holt sich Rat bei den hauptsächlich jungen Menschen, die gegen die hohe Arbeitslosigkeit, gegen korrupte Politiker protestieren. Sie spricht mit denen, die mehr Mitbestimmung fordern. Zwangsräumungen sind in den letzten Monaten Teil des spanischen Alltags geworden. Für die Protestbewegung stellen sie jedoch eine Verletzung der Grundrechte dar. Deshalb haben die Protestierenden eine eigene Initiative gegründet: die Plattform für Hypothekenopfer.

Spanienweit hat diese Plattform bereits rund 70 Wohnungsenteignungen gestoppt. Allerdings nur vorübergehend. Denn oft werden die Räumungstermine nur aufgeschoben. Wie bei Pati. Sie will keine Konflikte. Sie will Stabilität. Deshalb haben sie und ihre Familie die fast abbezahlte Wohnung geräumt. Sie mussten auf die Schnelle eine andere Wohnung finden - zur Miete, erzählt Pati: "Aber es gibt hier keinen Strom und kein fließendes Wasser. Es ist ein sehr altes Haus. Besonders problematisch ist das fehlende Wasser. Denn ich muss mein drei Monate altes Kind versorgen."

Doch beschweren wird sich Pati nicht - zusätzlichen Ärger kann sie nicht gebrauchen. Sie will das Problem auf eigene Faust lösen: In der Ecke des kleinen Büros der Protestbewegung steht ein alter Gasofen. Sie fragt, ob sie ihn mitnehmen darf und erkundigt sich nach einem Klempner. Der 20-jährige Daniel wird sich später um die Wasserleitung kümmern. Seit kurzem hat der Aktivist viel zu tun, erzählt er: "Wir sehen uns gerade alle leerstehenden Häuser und Wohnungen an. Wir sind dabei, kleinere Reparaturen vorzunehmen, damit die Häuser wieder bewohnbar werden. Alle, die jetzt unter unzumutbaren Bedingungen leben, können dann dort einziehen."

Reform des Kreditrechts

Blick von unten auf eine Häuserfassade (Foto: DW)
Patis fast abbezahlte Wohnung im ObergeschossBild: DW

Das Engagement der spanischen Protestbewegung ist breit gestreut. So fordert die Plattform beispielsweise auch ein neues Kreditrecht für Hypothekenopfer: Wer schon seine Wohnung an die Bank verliert, sollte zumindest den Kredit los sein. Denn das ist bisher nicht der Fall. Die Banken, denen die Immobilie zugeschrieben wird, übernehmen sie nur zu einem bestimmten Prozentsatz des ursprünglichen Kaufpreises. Das sind mal 60, mal 80 Prozent - je nachdem, welchen Wert ein Gutachter im Auftrag der Bank der Wohnung zuschreibt. Den Rest schuldet der Käufer weiterhin der Bank. Damit bleibt er nicht selten lebenslang verschuldet. Da Patis Wohnung schon fast abbezahlt war, hat sie wenigstens dieses Problem nicht. Wahrscheinlich wird sie sogar noch Geld zurückbekommen.

Pati fühlt sich reingelegt

Als Pati und ihr Mann nach Spanien kamen, fanden sie schnell Arbeit: Er auf dem Bau, sie in der Gastronomie. Sie hatten nur ein schmales Einkommen und auch keine Ersparnisse. Warum nur mussten sie sich verschulden und eine eigene Wohnung kaufen? Pati schreibt diesen Entschluss schlechter Beratung zu, wie sie sagt: "Wenn du zu einem Maklerbüro gegangen bist, dann sagten sie dir: 'Kauf dir lieber eine Wohnung. Du bezahlst jeden Monat eine bestimmte Summe und bald ist es deine Wohnung.'" Auch Pati dachte sich, das sei besser. "Aber das war nur Geldmacherei! Die Maklerbüros arbeiten mit den Banken zusammen", sagt sie heute.

Pati war schlecht informiert. Sie wusste nicht, dass sie ihre Wohnung verlieren würde, wenn sie einige Monate die Raten nicht zahlen kann. Und sie hat auch nicht geglaubt, dass es einmal so schwer werden könnte, Arbeit zu finden. Trotzdem möchten sie und ihre Familie in Spanien bleiben - die Wirtschaftskrise irgendwie überstehen. Andere haben nicht nur das Eigenheim verlassen, sondern längst auch das Land.

Autorin: Stephanie Eichler
Redaktion: Matthias von Hein / Nicole Scherschun