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Vertuschte Strahlenkrankheit?

Henrik Hübschen 26. Juni 2003

Schwere Vorwürfe gegen das US-Militär im Irak: Greenpeace zufolge versuche die Besatzungsmacht, mögliche Gesundheitsfolgen der Plünderung der größten irakischen Atomanlage in Tuwaitha zu verheimlichen.

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Ein US-Soldat misst die Strahlenbelastung eines Containers in TuwaithaBild: AP

Seit dem 17. Juni 2003 untersucht ein sechsköpfiges internationales Greenpeace-Team mit Geigerzählern und anderen Geräten das Umfeld der irakischen Ortschaft Tuwaitha. Bislang konnten sie dabei jeden Morgen ihre sieben Inspektionskollegen von der internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) begrüßen. Die IAEA-Experten sind allerdings kürzlich wieder abgereist - ihr von den USA bewilligter, zweiwöchiger Inspektionszeitraum war abgelaufen.

Mögliche gesundheitliche Folgen in der Bevölkerung durften die IAEA-Experten nach dem Willen der US-Verwaltung ohnehin nicht untersuchen. Ihr Auftrag war darauf beschränkt, zu klären, wie viel des in Tuwaitha gelagerten radioaktiven Materials gestohlen wurde. Das dort bis zu den Plünderungen gelagerte Uran war zwar nicht zum Bau einer Atombombe geeignet, könnte aber für so genannte schmutzige Bomben verwendet werden, also konventionelle Bomben, die bei der Explosion radioaktives Material und Strahlung in der Umgebung verteilen.

Gefährliches Raubgut

Wie aus IAEA-Kreisen inoffiziell verlautete, ist der Großteil des Materials aber inzwischen sichergestellt worden. Die Bewohner der Ortschaft Tuwaitha hatten es offenbar ohnehin eher auf andere Dinge abgesehen und wussten häufig gar nicht, wie gefährlich ihre Beute war, erläutert Wolfgang Sadik, Sprecher des Greenpeace-Teams: "Man kann den Leuten hier eigentlich keinen Vorwurf machen. Die sind so arm, die haben einfach die Ziegelsteine geklaut, um eine Wand zu bauen. Die haben sich Metallplatten geholt - auch wenn sie verstrahlt waren - und haben sie bei sich aufs Dach gelegt. Die Menschen sind so extrem arm, dass sie jedes erdenkliche Teil dieser Anlage mitgenommen und sofort verwendet haben."

Greenpeace Demonstration in Tuwaitha
Greenpeace-Aktivisten demonstrieren in TuwaithaBild: AP

Besonders begehrt waren Uran-Fässer. Plünderer hatten deren Inhalt offenbar unwissentlich in einen Kanal gekippt und die Behälter dann für zwei Dollar das Stück verkauft. Die Käufer nutzten die Fässer dann, um darin Wasser oder Weizen aufzubewahren. Bis die Amerikaner die Gefäße für drei Dollar pro Stück wieder zurückkauften.

Hohe Strahlenwerte

Das Greenpeace-Team stellte bei Messungen beunruhigende Werte fest. Auf dem Gelände einer Grundschule war der Wert nach Angaben der Umweltorganisation 300 Mal so hoch wie normal. Die Folgen sind Greenpeace zufolge überall sichtbar. "Viele Kinder, auch Erwachsene, haben aus der Nase geblutet, ihnen ist schlecht, sie sind sehr müde, manche müssen auch erbrechen", sagt Greenpeace-Vertreter Sadik. "Wir haben auch von Todesfällen gehört und von sehr vielen Leuten, die äußerliche Symptome einer Strahlenkrankheit aufgewiesen haben oder noch aufweisen."

Anders als das Team der internationalen Atomenergie-Behörde können sich die Greenpeace-Mitarbeiter in Tuwaitha frei bewegen und die Folgen für die Bevölkerung untersuchen. Sadik glaubt dennoch, dass die Besatzungsmächte die Folgen der Plünderung am liebsten vertuscht hätten. "Jedesmal wenn ein Journalist, wir oder irgend jemand anderes eine Strahlenquelle gefunden hat, ist sozusagen aus dem Nichts ein zivil gekleideter, amerikanischer Strahlentrupp gekommen und hat versucht, das zu beseitigen und die Stelle zu dekontaminieren", sagt er und ergänzt: "Das ist zwar gut für die Leute hier, für uns aber sehr interessant: Offensichtlich ist man hier bemüht, die Spuren zu beseitigen und die Orte zu dekontaminieren, die an die Öffentlichkeit gelangen. Sonst hätte man schon seit zwei Monaten systematisch und massiv die gesamte Gegend vermessen und untersuchen können."

Systematische Untersuchung

Abtransport von Atommüll in Tuwaitha
US-Soldaten sichern den Rücktransport eines gestohlenen Uranium-BehälterBild: AP

Genau das sollten jetzt schnellstmöglich die Experten der IAEA dürfen, fordert Sadik. Nur so könne man eine humanitäre Katastrophe verhindern. Er selbst will mit seinem Team jedenfalls so lange in Tuwaitha bleiben, bis die radioaktive Verseuchung der Gegend beseitigt und die medizinische Behandlung der Bevölkerung gesichert ist.

Nach Greenpeace-Angaben befürwortet ein Medizinfachmann der US-Armee eine stärkere Rolle der IAEA im Irak. Die Organisation zitiert Leutnant Colonel Mark Melanson, Leiter des "US Army Center for Health Promotion and Preventative Medicine" mit den Worten: "Ich empfehle der IAEA und der Weltgesundheitsorganisation, sich einzumischen und eine Beurteilung der Lage abzugeben". Je schneller dies geschehe, um so besser, fügte Melanson Greenpeace zufolge hinzu.