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Verteidigung des Erreichten

Jens Thurau5. Mai 2002

In seltener Einmütigkeit haben die Grünen auf ihrem Bundesparteitag in Wiesbaden ihr Wahlkampfprogramm verabschiedet. Ein Kommentar von Jens Thurau.

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Die Grünen wollen ihren gesellschaftlichen und ökologischen Reformweg weitergehen. Dazu setzen sie voll und ganz auf die Koalition mit der SPD - eine Strategie mit Risiken.

Es gab Momente auf diesem grünen Parteitag, da rieb man sich verwundert die Augen und glaubte, auf der falschen Veranstaltung zu sein. Waren das noch die Grünen der hochfliegenden Träume, des Aufbruchs in eine ganz andere Gesellschaft, der wilden Utopien?

Mit Sachlichkeit und Nüchternheit, konzentriert und geschlossen haben die Grünen in Wiesbaden ihr Wahlprogramm beschlossen. Früher war diese Partei für stundenlange Redeschlachten berühmt, jetzt arbeitete sie sich so rasant durch die Tagesordnung, dass das Präsidium sogar zu regerer Diskussionbeteiligung auffordern musste.

Neue, ungewohnte Vokabeln bestimmten die Debatte: Effizienz, Geschlossenheit, Finanzierbarkeit.

Soviel Realpolitik war nie. Die Grünen wollen die umstrittene
Ökosteuer weiterentwickeln, aber auf die soziale Verträglichkeit achten, was bedeutet, dass sie die autobegeisterten Wähler nicht verschrecken wollen. Konkrete neue Steigerungstufen der Steuer auf Treibstoff werden also nicht genannt.

Die Grünen wollen die Familien fördern und eine Kindergrundsicherung einführen, sie wollen für mehr
Ganztagsbetreuung sorgen und dafür die steuerliche Belastung reicherer, kinderloser Ehepaare erhöhen. Sie wollen den Atomausstieg unumkehrbar machen, den Umweltschutz und die Agrarwende voranbringen. Sie wollen - vor allem Joschka Fischer will das - die Globalisierung positiv gestalten.

Kurz: Sie wollen weiterregieren. Ihr Programm liest sich so: Hier sind wir, SPD und Grüne, da sind die konservative Union und die hemmungslos neoliberale FDP. Hier sind wir, die wir das Staatsbürgerschaftsrecht modernisiert und die Steuerrefom beschlossen und die Zuwanderung neu geregelt haben, da sind die, die diese Fortschritte rückgängig machen wollen.

Die Grünen beschreiben keine Visionen mehr, sie wollen das Erreichte verteidigen.

Aber die Chancen stehen schlecht für rot-grün, die Umfragewerte sind miserabel, vor allem die der SPD. An diese SPD binden sich die Grünen voll und ganz, sie setzen auf die Wahl zwischen zwei politischen Grundrichtungen. Also mit Rot-Grün Richtung Reformen oder rückwärts mit Union und FDP.

Vielleicht geht diese Taktik auf, Geschlossenheit ist ein hoher Wert in Wahlkampfzeiten.

Die Gefahren für die Grünen liegen woanders: Die starke Bindung an das rot-grüne Modell kann der Partei auch schaden, und sie läßt sie profillos erscheinen, berechenbar zwar, aber eben manchmal auch mausgrau. Ständig wurden auf diesem Parteitag die Gefahren eines Rechtsrucks beschworen, in Deutschland, in Europa.

Und wo ist das grüne Gegenmodell, wie lautet die Gesamtüberschrift?

Die Grünen im Mai 2002 sind so sehr die Partei Joschka Fischers wie noch nie. Der Bundesaußenminister ist die alles überstrahlende Figur. Und was geschieht mit der Partei, wenn Fischer im Herbst nicht mehr im Amt ist, was nicht unwahrscheinlich ist? Diese Frage wird bei den Grünen derzeit nicht gestellt und schon gar nicht beantwortet.