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Deutschland ringt um eine Internetstrategie

4. März 2010

Im Bundestag nehmen sich die Parlamentarier Zeit, über die digitale Revolution nachzudenken. Die deutsche Regierung dagegen prescht mit Aktionismus vor. Eile mit Weile sei der richtige Weg, findet Richard Fuchs.

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Kommentar (Grafik: DW)
Bild: DW

Wir verstehen das Netz. Diese Botschaft schwingt mit, wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der Hightech-Messe CEBIT in Hannover verkündet, die Bundesregierung wolle bis Mitte des Jahres eine neue Internetstrategie vorlegen. Darin will sie darlegen, wie klassische Industriebranchen in Deutschland, also die Automobilindustrie oder der Maschinenbau, besser mit der Informations- und Kommunikationstechnologie verknüpft werden können.

Das Ganze kommt daher wie ein Masterplan für die digitale Welt, und mag im besten Fall doch nur ein Masterplan für die digitale Wirtschaft werden. Wie könnte es auch, denn die jüngsten Versuche unterschiedlicher Ministerien, mit Bloggern, Datenschützern, Netzkünstlern und Netzprofis in einen Dialog zu treten, blieben dazu zu substanzlos.

Dabei spielen die Veränderungen unserer Bildungswelt, unseres Konsumverhaltens, unserer Arbeits- und Lebensabläufe und auch unserer zwischenmenschlichen Beziehungen eine zentrale Rolle.

Eigentlich sollte man doch aus Fehlern lernen. Und Fehler gab es in der bisherigen Internetpolitik der Bundesregierung und ihrer Vorgänger genug. Schließlich scheiterte der Versuch, Internetsperren per Gesetz einzuführen. Und jüngst verbot das deutsche Bundesverfassungsgericht, dass der Staat sensible Telekommunikationsdaten von Bürgern für sechs Monate speichern und auswerten kann. Sicherheitswünsche der Behörden dürften nicht die individuellen Freiheitsrechte der Bürger einschränken, so das Gericht.

Später Einstieg

Es ist eindeutig, dass das Internet viel zu lange von Deutschlands politischen Eliten vorwiegend als Risikoquelle betrachtet wurde. Dabei gehe es eben nicht nur um Verbote, sondern um ein Durchsetzen von Persönlichkeitsrechten, Privatsphäre, Selbstbestimmung und Chancengleichheit, sagt man bei der Opposition im Bundestag.

Und auch für die Mehrheit der Bürger ist das Netz keineswegs nur ein Sündenfall. Im Gegenteil, eine Umfrage des IT-Branchenverbandes BITKOM macht deutlich: 58 Prozent der befragten Deutschen können sich ein Leben ohne Internet nicht mehr vorstellen, 71 Prozent aller Deutschen gehen täglich ins Netz.

Baustellenschilder auf der CEBIT (Foto: CEBIT)
Die digitale Welt ist längst mehr als die Breitbandkabel-InfrastrukturBild: ceBIT.de

Während bei den Bürgern die digitale Welt schon real ist, stehen viele staatlichen Institutionen noch am Anfang eines langen Lernprozesses. Eine Kommission folge auf die andere, aber es fehle eben ein Gesamtkonzept, sagt beispielsweise August-Wilhelm Scheer, Präsident des IT-Verbandes BITKOM. Und sein Einwand ist nicht unbegründet, denn gerade was das Internet angeht, ist der Chor der politischen Stimmen besonders dissonant.

Während Bundesinnenminister Thomas de Maizière mehr Transparenz beim Datensammeln anmahnt, warnt die Bundeskanzlerin in ihrem Podcast vor den Gefahren des Internets. Während die Verbraucherministerin Ilse Aigner rechtliche Schritte gegen den Suchmaschinen-Giganten Google prüft, will die Justizministerin vor allem die Freiheits- und Selbstbestimmungsrechte von Bürgern und Firmen im Netz gestärkt sehen.

Nicht wenige Beobachter folgern daraus, dass in der deutschen Bundesregierung ein koordinierender Posten eingerichtet werden müsse, etwa ein Internet-Staatsminister, um die zersplittern Kompetenzen zu bündeln. Das klingt einleuchtend, hilft aber nicht, die dahinter liegenden Probleme zu lösen. Nur wenn ein Internet-Staatsminister auch echte Kompetenzen bekäme, anderen Ministern Aufgaben zu entziehen, würde dieser Posten Sinn machen. Ansonsten bliebe der Posten ein Akt wohlwollender Symbolpolitik.

Internet-Denkerzelle im Bundestag

Damit sich etwas ändert, braucht es eine intensive Beschäftigung mit dem Netz, vielleicht ja in der Form, die die Parlamentarier im Deutschen Bundestag gewählt haben. Sie haben eine Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" einberufen, in der 17 Parlamentarier auf 17 Experten aus verschiedensten Bereichen treffen und diskutieren. Dass sie dabei verkünden: Wir haben bislang keine Ahnung, wenn so genannte "digital natives", Internet-Cracks, von Netzneutralität, E-Partizipation und freien Technikstandards schwärmen. Das macht die Volksvertreter sympathisch. Dass sie aber dazu sagen: Wir wollen in den nächsten zwei Jahren, während die Kommission tagt, viel dazu lernen, das macht sie groß. Sie wollen eben nicht nur mit Bloggern über Blogs reden, sondern auch durch Blogs mit der Internetgemeinde. Was für viele vielleicht wie ein digitaler Kindergarten anmuten mag, ist der Versuch, Unwissenheit nicht durch Aktionismus zu überspielen.

Und das könnte vielleicht auch der Bundesregierung gut anstehen, denn während sich die deutschen Parlamentarier erst einmal auf die digitale Schulbank setzen, wollen die Ministerien wieder nur einen Teil der Netzpolitik vorantreiben. Und dann fragt man sich zu Recht: Verstehen sie das Netz wirklich?

Autor: Richard A. Fuchs

Redaktion: Kay-Alexander Scholz