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Verschwende deine Jugend

Marcus Bösch1. Juli 2002

Auf einmal war alles anders. Für kurze Zeit spülte die "Neue Deutsche Welle" junge deutsche Bands an die Spitze der internationalen Charts. Trotz 20. Geburtstag und 80er-Jahre-Revival gibt es noch einiges zu entdecken.

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Ich mach BuBu, was machst du?Bild: Stephan Remmler

Mutti und Vati vor dem Fernseher blickten sich verdutzt an. Ein Spielzeug-Keyboard hatten die Mitglieder der Band Trio mitgebracht. Ein genialer Gitarrengriff –von den Beatles geklaut– erschall auf der Bühne der ZDF-Hitparade. Der pubertierende Nachwuchs im heimischen Wohnzimmer konnte sein Glück kaum fassen. So etwas hatte man vorher noch nicht gesehen, nicht gehört, nicht erlebt.

Kein Spaß mehr

20 Jahre nach den Erfolgen der "Neuen Deutschen Welle" (NDW) scheint zum Thema bereits alles gesagt worden zu sein. Alles gesagt über die kurze intensive Zeit am Anfang der 80er Jahre, als es aus Transistorradios von Stuttgart bis Schanghai tönte "Da da da, ich lieb dich nicht, du liebst mich nicht, da da da." Alles gesagt über die kurze Epoche, in der plötzlich junge deutsche Bands mit eigenem Sound und eigener Sprache etablierte Stars aus den Charts verdrängten. Die Protagonisten verschwanden nach nur wenigen Jahren von der Bildfläche und die Schuldigen waren auch schnell gefunden. "Der NDW-Hype ist an der damals typischen Industrie-Taktik gescheitert, einfach den ganzen Markt zu überschwemmen", erklärt Jürgen Teipel, Szenekenner und Buchautor.

Die wilden Zeiten sind lange vorbei. Ruhig geworden ist es um die meisten Stars der ehemals "neuen Welle". Einige wenige, wie die Spyder Murphy Gang ("Skandal im Sperrbezirk") oder Geier Sturzflug ("Bruttosozialprodukt"), zehren noch immer von einer handvoll Hits und ziehen übers Land - vom Kreissparkassenfest zur nächsten Dorfkirmes. In den meisten Regalen der jungen Fans von gestern hingegen verstauben die Platten von Ideal, UKW oder Grauzone. Unverbesserliche Anhänger haben zwar nie richtig aufgehört der Parole "Ich will Spaß" vom Klamauksänger Markus zu folgen. Der angestrebte Spaß stellt sich bei wöchentlichen NDW-Revival-Parties allerdings nur noch spärlich ein.

Zurück zum Beton

Zu entdecken gibt es auch zwei Jahrzehnte später immens viel aus einer Zeit als Dilettanten, Amateure und Avantgardisten an ihrer Version von neuer deutscher Tanzmusik bastelten. In Hinterhöfen und Jugendzimmern produzierte Musikkassetten erzählen heute noch von einer Realität zwischen U-Bahnschächten und Supermärkten. Bands wie Abwärts, Fehlfarben oder Die Tödliche Doris sangen und schrien vom Computerstaat oder von Betonstimmung unter einem leeren Himmel, während in Erlangen das erste deutsche Retortenbaby das Tageslicht erblickte. Pop-Perlen von Frl. Menke ("Tag des Herrn") oder Andreas Dorau ("Kleines Stubenmädchen") gilt es auf unbekannteren Singles und B-Seiten aufzuspüren - bei weitem spannender und frischer als viele der allseits bekannten Gassenhauer von Nena ("99 Luftballons") bis Hubert Kah ("Sternenhimmel").

Beim Blick zurück bewahrheitet sich eine der schönsten Textzeilen des musikalischen Allroundgenies Schorsch Kamerun: Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens. Recht geben wird dem auch der ehemalige Schlagzeuger von Trio, Peter Behrens. Trotz zweistelliger Millionenverkäufe in über 30 Ländern lebt der 54 Jährige nach einer Zwischenstation als Zirkusclown in Wilhelmshaven von der Sozialhilfe.