Textile Bildergeschichten
15. April 2009Zuallererst fäll die Farbenpracht ins Auge: der leuchtendrote Hintergrund eines Wandteppichs aus dem Schweizer Wallis von 1643, ein Altarbehang aus Schlesien aus der Mitte des 18. Jahrhunderts mit roten, blauen und gelben Motiven oder auch das strahlende Gelb im ornamentalen Sternenmuster einer Offiziersdecke aus der Zeit um 1900. Mit rund 40 Originalstücken präsentiert das Museum Europäischer Kulturen in Berlin die Geschichte der textilen Bildgestaltung aus fünf Jahrhunderten, einer Kunst, die relativ wenig erforscht und heute weitgehend verloren ist.
Eindrucksvolle Textilkunst
"Tuchintarsien" – auf Englisch "inlaid patchwork" - sind eigentlich Stoffmosaikarbeiten, im Schwedischen nennt man die Technik auch Intarsienstickerei. Es sind aufwändig hergestellte Wandbehänge oder Decken aus gewalkter Wolle. Die Motive, oft nur fingernagel-groß, werden aus dem textilen Material ausgeschnitten und in feinteiliger Handarbeit zusammengenäht. Die Ausstellung in Berlin zeigt die Bandbreite dieser 500 Jahre alten Bildtechnik in Europa. Viele Beispiele stammen aus kirchlichem Besitz: Das älteste Stück wurde in einem Kloster in Schweden im 15. Jahrhundert gefertigt. Und es weist einige Besonderheiten auf: "Es ist eine typisch mittelalterliche Gestaltung mit Medaillons, sie erinnern an byzantinische Stoffe, aber auch nordische Tiere, Elche und Fabeltiere sind zu sehen", sagt die Restauratorin Salva Joram, "in Schweden hatte man in der Zeit Haut verwendet, die golden eingefärbt und in Streifen geschnitten wurde. Die Konturen wurden mit den Streifen markiert, das muss sehr gestrahlt haben."
Anforderung an Restauratoren
Die Goldlederstreifen sind mittlerweile verblasst, Teile des Wollstoffs brüchig geworden und deshalb auf einem farblich angepassten Unterlegstoff fixiert. Die Restaurierung dieser kostbaren Textilbilder ist eine besondere Herausforderung für die Restauratorinnen. "Es gibt zwei Methoden: entweder man folgt der Originalmethode und intarsiert, also man schneidet eine Schablone und legt sie ein über die Fehlstelle, oder man nimmt einen Unterlegstoff und näht das Gewebe daran fest", erläutert die Restauratorin Christine Binroth. "Die Herausforderung ist, die richtige Farbe zu finden und die richtige Montage."
Vom Altartuch bis zur Pferdedecke
Zu den ausgestellten Objekten gehören prunkvolle Pferdedecken aus Sachsen, Wandbilder aus Schlesien sowie Bettdecken, Tischdecken und Teppiche aus England, das im 19. Jahrhundert das Zentrum der Wolltuchproduktion in Europa war. Die Motive reichen von allegorischen Darstellungen über dekorative Ornamente bis zu militärischen Szenarien. Die Kuratorin, Dagmar Neuland-Kitzerow, ist besonders beeindruckt von der Bildvielfalt eines um 1840 in Cardiff entstandenen Wandteppichs, dessen Kleinteiligkeit, Farbigkeit und Themenvielfalt sie fasziniert : "Der Künstler hat sich sowohl mit dem Paradiesthema beschäftigt als auch moderne Dinge dargestellt", so die Kuratorin, "beispielsweise eine Brücke dort hinten, das war ein neues Bauwerk, das bei Cardiff entstanden war, oder auch ein Eisenbahnviadukt, auch das war etwas ganz Neues, auch das hat er integriert."
Ursprünglich waren nur 20 Intarsienbilder bekannt; jetzt konnten im Rahmen eines zehnjährigen Forschungsprojektes am Museum Europäischer Kulturen weltweit über 70 Stücke ausfindig gemacht werden, von denen nun 40 in Berlin zu sehen sind. Am weitesten gereist ist eine Decke aus Schlesien, die Auswanderer im Gepäck nach Australien mitgeführt hatten und die jetzt aus einer privaten Sammlung in Sidney für die Ausstellung nach Europa zurückkehrte.
Autorin:Sigrid Hoff
Redaktion:Cornelia Rabitz