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Verloren im Universum?

4. Mai 2016

Christi Himmelfahrt in Zeiten der Weltraumforschung? Dr. Claudia Nieser von der katholischen Kirche sieht Jesus Christus nicht auf einer Wolke gen Himmel schweben. Sie feiert heute vielmehr das Fest der Nähe Gottes.

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Nur noch die Füße sind zu sehen: Entschwindender Christus auf der Kanzel in Domkirche in Ribe, Dänemark, eine Darstellung aus dem Jahre 1597Bild: DW/C. Nieser

Wenn gläubige Menschen früherer Epochen ihren Blick zum Himmel richteten, dann waren sie sich sicher, dass sich dort, an jenem damals völlig unzugänglichen Ort, das „Jenseits“ befand. Dort oben, so glaubte man fest, war der „Wohnort“ Gottes, der Engel und der Seelen jener Menschen, die nach ihrem Tod in die Gemeinschaft mit Gott aufgenommen wurden. Der Himmel war ein fester Ort im damaligen Weltbild. Noch im 18. Jahrhundert dichtete Friedrich Schiller in seiner berühmten Ode „An die Freude“:

„Seid umschlungen, Millionen!
Diesen Kuss der ganzen Welt!
Brüder – überm Sternenzelt
muss ein lieber Vater wohnen.“

Die Naturwissenschaft hat von diesem „Himmel überm Sternenzelt“ wenig übrig gelassen. Zwar richten wir noch immer, egal ob wir an einen Gott glauben oder nicht, den Blick instinktiv nach oben, wenn wir etwas nicht fassen können und uns hilflos fühlen. Doch über uns, das wissen wir heute, dehnt sich das grenzenlose Universum aus. Die Erde befindet sich nicht in seinem Zentrum, wie lange geglaubt, sondern ist ein kleiner Planet, der eine Sonne in einem Seitenarm unserer Galaxis umkreist. In dieser Galaxis gibt es bis zu drei Milliarden Sonnen wie die unsrige. Man schätzt, dass es im Universum etwa 100 Milliarden Galaxien gibt.

Verloren im Weltraum?

Es kann einem schwindlig werden angesichts der „unendlichen Weite“, in der wir uns befinden. 2013 hat der preisgekrönte Film „Gravity“ – „Schwerkraft“ – diesen Schwindel und damit auch die Verlorenheit der menschlichen Seele in der unendlichen, schweigenden Leere des Kosmos eindrucksvoll in Szene gesetzt. Sind wir also „Lost in Space“ –„Verloren im Weltraum“ –, um den Titel eines anderen Science-Fiction-Films aus dem Jahr 1998 aufzugreifen?

Das Fest Christi Himmelfahrt, an dem Christen die Aufnahme des Auferstandenen in den Himmel feiern, mag ein guter Anlass sein, sich diese Frage neu zu stellen – und das, obwohl gerade dieses Fest den Himmel über unseren Köpfen vorauszusetzen scheint und nicht das grenzenlose Universum. „Als er [Jesus] das gesagt hatte, wurde er vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf und entzog ihn ihren Blicken“, heißt es etwa in der Apostelgeschichte (1,9). In früheren Epochen sind Gemälde entstanden, die diese bildhaften Vorstellung von der Himmelfahrt Christi lebendigen Ausdruck verleihen: Auf ihnen ist eine in der Luft schwebende Wolke zu sehen, aus der nur noch Jesu Füße herausragen.

Der Himmel steht ab nun allen offen

Auch wenn die bildhafte Darstellung der Bibel dies nahezulegen scheint, feiert die Kirche an diesem Tag weniger die Tatsache, dass Jesus an einen geheimnisvollen Ort „über unseren Köpfen“ verschwunden ist. Mit dem „im Himmel Sein“ Jesu Christi feiert sie vielmehr den Glauben daran, dass dieser Zustand nun für alle Menschen möglich ist. Die rettende, heilende Nähe Gottes, mit anderen Worten: „der Himmel“, steht uns allen offen. Christi Himmelfahrt erinnert uns daran, dass sich keine Seele verloren vorkommen muss. Wir sind nicht „Lost in Space“, egal wie weit das Universum sich ausdehnt, egal wie klein unsere Welt auch sein mag. Die uns umgebende Leere ist gar nicht leer. Sie ist durchdrungen von einem Gegenüber mit menschlichem Antlitz, das mit den Worten des Glaubensbekenntnisses, „zur Rechten des Vaters“ sitzt.

Christi Himmelfahrt heißt, dass uns Gott überall, egal wo wir uns befinden, nah sein kann. An diesem Tag feiern wir, dass sich der Kosmos, dessen Teil wir sind, überall zum Himmel wandeln und weiten kann.

Dr. Claudia Nieser, Paderborn
Bild: Privat

Die Theologin und Buchautorin Dr. Claudia Nieser, 1972 in Neunkirchen/Saar geboren, studierte katholische Theologie in Saarbrücken und Trier. Sie absolvierte ein Volontariat beim Saarländischen Rundfunk und arbeitet seit 2001 in der Presse- und Informationsstelle des Erzbistums Paderborn. Mit einer Dissertation über die algerische Schriftstellerin Assia Djebar promovierte sie zum Doktor der Theologie an der Eberhard Karls Universität Tübingen. In ihren Veröffentlichungen befasst sie sich mit Themen wie dem interreligiösen Dialog, dem Gespräch zwischen Literatur und Theologie sowie zwischen Populärkultur und Religion.

Kirchliche Verantwortung: Dr. Silvia Becker, Katholische Hörfunkbeauftragte und Alfred Herrmann