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Russisches Gericht verurteilt Menschenrechtler

8. Oktober 2009

Vertreter von Memorial hätten Kadyrow nicht für den Mord an der Journalistin Estemirowa verantwortlich machen dürfen. Das sei Verleumdung, befand ein Moskauer Gericht nach einer Klage des tschetschenischen Präsidenten.

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Menschenrechtsorganisation Memorial

Ein Moskauer Gericht hat entschieden, der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow sei von russischen Menschenrechtlern verleumdet worden. Kadyrow soll nun eine Entschädigung in Höhe von 70.000 Rubel, das entspricht ca. 1.600 Euro, erhalten, von denen die Menschenrechtsorganisation Memorial 50.000 Rubel und der Menschenrechtler Oleg Orlow persönlich 20.000 zu zahlen haben. Orlow erklärte, er werde Berufung gegen das Urteil einlegen. Falls dies zu keinem Erfolg führe, wolle er vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ziehen.

Natalja Estemirowa
Natalja EstemirowaBild: picture-alliance/ dpa

Der tschetschenische Präsident Kadyrow hatte Orlow verklagt, weil dieser ihn beschuldigt hatte, an dem Mord an Natalja Estemirowa beteiligt gewesen zu sein. Die Menschenrechtlerin war am 15. Juli in Grosny entführt worden. Noch am selben Tag wurde ihre Leiche in der Nachbarrepublik Inguschetien aufgefunden. Estemirowa arbeitete für Memorial, war aber auch journalistisch tätig.

Kadyrows Zeugen kritisieren Memorial

Während der Gerichtsverhandlung am 6. Oktober wurden von Seiten des Klägers, Kadyrow, zwei Vertreter von Menschenrechtsorganisationen gehört, die in Tschetschenien arbeiten. Kadyrows Anwalt, Andrej Kasnenkow, argumentierte, der tschetschenische Präsident habe keine persönliche Feindschaft gegen Estemirowa gehegt und habe ihr persönlich nie gedroht.

Im Laufe des Prozesses erklärte die Vertreterin einer tschetschenischen gesellschaftlichen Organisation, Kadyrow habe sich bei Treffen mit Menschenrechtlern immer ruhig verhalten. Das Tragen von Kopftüchern bei Frauen, worüber es zwischen Kadyrow und Estemirowa angeblich zum Streit gekommen sei, habe er niemals als verbindlich bezeichnet. "Bei uns ist das Tragen des Kopftuchs üblich, aber niemand wird dazu gezwungen", sagte sie.

Tschetschenischer Präsident Ramzan Kadyrov
Ramsan KadyrowBild: picture alliance/dpa

Ein weiterer Zeuge, der Leiter der Forschungsabteilung beim Menschenrechtsbeauftragten der Republik Tschetschenien, Ibragim Dsubajrajew, sagte im Gespräch mit der Deutschen Welle, er habe vor Gericht ausgesagt, Estemirowa habe sich nicht bedroht gefühlt. "Sie lebte allein, brachte ihre Tochter nach Tschetschenien in den Urlaub und bewegte sich in Grosny zu jeder Tages- und Nachtzeit", sagte er. Dsubajrajew kritisierte zugleich, Estemirowa habe die positiven Veränderungen in der Republik nicht sehen wollen. Es sei unmöglich gewesen, sie zu überzeugen. Ihre Tätigkeit sei in erster Linie Werbung für Memorial und ähnliche Organisationen gewesen. Memorial sei stets darauf aus, in die Medien zu kommen.

Menschenrechtler: Estemirowa fühlte sich bedroht

Nach den Zeugen des Klägers wurden die des Beklagten gehört. Das Memorial-Vorstandmitglied Aleksandr Tscherkasow berichtete von einem Treffen zwischen Estemirowa und Kadyrow im März 2008. Damals habe der tschetschenische Präsident die Menschenrechtlerin beleidigt. Kadyrow sei unzufrieden gewesen, weil sich Estemirowa in einem Bericht des landesweiten russischen Privatsenders RenTV gegen den Kopftuchzwang für tschetschenische Frauen ausgesprochen habe. Tscherkasow sagte, Kadyrow habe Estemirowa gefragt: "Du befasst Dich mit solchen Angelegenheiten und hast keine Angst um Deine Tochter?" Estemirowa habe dies damals als Drohung aufgefasst und sei für mehrere Monate ins Ausland gegangen.

Russland Menschenrechtler Oleg Orlow in Moskau
Oleg OrlowBild: RIA Novosti

Oleg Orlow selbst bekräftigte vor Gericht seine Position: "Meine Überzeugung, dass Ramsan Kadyrow für Nataschas Tod verantwortlich ist, basiert darauf, dass in Tschetschenien eine Atmosphäre herrscht, in der alles dafür getan wird, dass solche Verbrechen geschehen. Das sind öffentliche Drohungen, ein negativer Umgang mit Menschenrechtlern sowie Verstöße gegen die Menschenrechte seitens der Machthaber", so Orlow.

In den Pausen zwischen den Sitzungen des Gerichts sagte der bekannte russische Menschenrechtler Sergej Kowaljow der Deutschen Welle: Er sei zu 100 Prozent sicher, wie das Urteil ausfallen werde: "Die Entscheidung wird so sein, dass der Kläger Kadyrow Recht bekommt. Denn der Richter kann gar nicht anders entscheiden, nachdem Präsident Dmitrij Medwedjew Kadyrow mehrmals öffentlich unterstützt hat." Kowaljows Prognose, was den Ausgang des Prozesses angeht, ist eingetroffen.

Autor: Wladimir Sergejew / Markian Ostaptschuk
Redaktion: Birgit Görtz