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Politik

"Wir haben leider überlebt"

Kay-Alexander Scholz
29. Juni 2017

Frauen werden im Krieg noch immer von Kämpfern vergewaltigt - die Tat wird zur Waffe. Der IS-Terror zeigt dies aktuell in aller Grausamkeit. Was kann die Politik dagegen tun? Im Bundestag wurden Antworten diskutiert.

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Traumazentrum im Irak
Psychologisches Trauma-Zentrum im Irak (Archivbild)Bild: picture-alliance/dpa/A. Martins

Dass sie bei einer Veranstaltung in eine Reihe mit Aretha Franklin und Adele gestellt wird, ist Angela Merkel sicherlich noch nicht passiert. Leider war der Anlass von der Sache her nicht erfreulich - dass er stattfindet, aber schon. Denn die Bundestagsfraktion ihrer Partei hatte zu einer internationalen Konferenz "Vergewaltigung als Kriegswaffe" eingeladen. Dabei hatte die Moderatorin Merkel in die Reihe einflussreicher Frauen gestellt, die sich dabei engagieren, das "Schweigen zu beenden, Überlebende stark zu machen".

Sie hätte noch Bianca Jagger erwähnen können, die in einer eindrucksvollen Rede von ihrem Engagement nach dem Bosnien-Krieg Mitte der 1990er Jahre berichtete. Nur anderthalb Flugstunden von Zürich entfernt seien damals Vergewaltigungen als Kriegswaffe eingesetzt worden, als Teil der "ethnischen Säuberung". Haben wir die Lektion von damals gelernt, fragte Jagger? Das heißt: Was machen Politik und Zivilgesellschaft dagegen?

Reden ist der Anfang

Zu Gast bei der Veranstaltung waren auch Jesidinnen, die es aus der Hölle des IS geschafft haben. Allein 1000 von ihnen hat Baden-Württemberg aufgenommen, das Bundesland, aus dem der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder stammt. Kauder engagiert sich seit Jahren für die Rechte von christlichen Minderheiten in der arabischen Welt. Er sei stolz, dass diese Veranstaltung im Bundestag stattfinde, so Kauder.

Eine Jesidin und eine ehemalige Richterin aus Bosnien berichteten, wie sie vergewaltigt wurden. Schriftsteller und Wissenschaftler verdeutlichten, dass genau das der Anfang der Aufarbeitung ist: nämlich über die Verbrechen zu reden, die den Frauen, Mädchen und Kindern angetan wurden - so die Opfer überhaupt überlebt haben und die Kraft dazu finden.

Tabus und Stigmata bekämpfen

Gerade in der arabischen Welt aber sei schon das eine Leistung, so war zu hören. Vergewaltigung ist ein Tabu, die Frauen sind danach kein Teil der Gemeinschaft mehr, sie werden ausgestoßen und mit einem Stigma belegt. Auch bei den Jesiden gehört das zu den religiös-kulturellen Regeln. "Wir haben leider überlebt", habe sie häufig gehört, berichtete die Jesidin Salwa Rasho von den Folgen des IS-Terrors in ihrer Heimat. Den Opfern sei die Ehre genommen, viele würden sich deshalb umbringen. Die Filmemacherin Düzen Tekkal zeigte in ihrem Film "Hawar" von 2015, wie das religiöse Oberhaupt der Jesiden Schluss mit dieser Praxis machte und die vergewaltigten Frauen in einem Zeremoniell wieder in die Gemeinschaft aufnahm.

Nusreta Sivac
Nusreta Sivac: Überlebende der Massaker des Bosnien-KriegesBild: DW/Z. Ljubas

"Ich werde darüber sprechen bis zum Ende meiner Tage", sagte die Bosnierin Nusreta Sivac, die von ihrem Leiden unter den serbischen Besatzern erzählte, sonst würden die Mechanismen greifen, die diese Verbrechen letztendlich subventionierten. Sivac hat aktiv mitgearbeitet beim Aufbau des UN-Tribunals gegen die Verbrechen des Jugoslawien-Krieges, als erstmals Vergewaltigung im Krieg völkerrechtlich als Verbrechen gegen die Menschlichkeit benannt wurde. Dort stand sie ihren Vergewaltigern direkt gegenüber. Sie lebt heute wieder in ihrer Geburtsstadt, die damals auch Tatort war.

"Die Opfer befreien"

Gegen die soziale Vernichtung als Dimension von Vergewaltigung zu kämpfen, sei für die ganze Gesellschaft ein Muss, sagte die Psychologin und Holocaust-Überlebende Ruth Barnett. Denn "Tabu ist toxisch". Das heißt, das Verbrechen werde nur oberflächlich verdrängt. Es bliebe aber bestehen und würde als Trauma von einer Generation zur nächsten übertragen. "Heilung" gäbe es nur, wenn das Unrecht auch benannt würde. Sie sei stolz, dass heutzutage diese Phase zumindest bei den Frauen im Saal früher erreicht werde. Das sei nach dem Zweiten Weltkrieg noch ganz anders gewesen, als über die tausendfachen Vergewaltigungen abwiegelnd gesprochen, den Opfern einfach nicht zugehört wurde.

Berlin CDU/CSU-Kongress zu Kriegsverbrechen gegen Frauen
Ruth Barnett (links): "Tabu ist toxisch"Bild: picture-alliance/dpa/M. Skolimowska

Überlebende würde oft zwei Mal zum Opfer, erst durch die Vergewaltigung selbst und dann noch einmal durch die Reaktion in vielen Gesellschaften, betonte Pramilla Patten, seit April dieses Jahres UN-Sonderbeauftragte für sexuelle Gewalt in Konflikten. Ihre erste Dienstreise führte sie nach Berlin. Sie dankte Deutschland für das Engagement in der UN auf diesem Gebiet. "Stigma tötet", sagte Patten, und das gehöre zur Logik der Gewalt. Dabei gebe es viele überlappende Stigmata, wie Kinder aus Vergewaltigungen, HIV-Infektionen oder der Verlust der Jungfräulichkeit. Doch Patten räumte ein, wie schwer es sei, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Umso wichtiger sei es, die Opfer zu befreien. Und weiter: Der Kampf für Frauenrechte sei ein zentraler Weg im Kampf gegen Vergewaltigung. "Empowerment" und eine echte Frauenquote, da waren sich alle Redner einig, seien untrennbar damit verbunden.

Politische Hilfe

Bundeskanzlerin Angela Merkel deklinierte den Gedanken weiter: Starke, gebildete Frauen könnten ihre Potenziale entfalten und dann gleichberechtigt eine Gesellschaft prägen. Das sei wichtig für die Widerstandsfähigkeit einer Gesellschaft, mit Konflikten umzugehen und diese friedlich und demokratisch zu klären. Hier sehe sie, neben operativer Hilfe, einen wichtigen Ansatzpunkt für politische Hilfe. Dazu müsse dann die Bestrafung der Täter kommen. Nur so könne eine Gesellschaft befriedet und in Krisenstaaten ein neues Staatswesen aufgebaut werden. Deshalb unterstütze Deutschland die Strafgerichtshöfe der Vereinten Nationen.

Deutschland CDU/CSU-Kongress zu Kriegsverbrechen gegen Frauen
Angela Merkel: Schweigen über sexuelle Gewalt brechenBild: picture alliance/dpa/M. Skolimowska

Entwicklungshilfeminister Gerd Müller hatte zuvor zwei andere politische Einflussmöglichkeiten genannt. Schwerpunkt der Entwicklungszusammenarbeit müsse auch sein, die Straflosigkeit in vielen Ländern der Welt anzuprangern, wo Vergewaltigung als Kriegsverbrechen noch kein Thema sei. "Aber auch die Rollenbilder der Männer müssen sich ändern", forderte Müller. Das sei ein "wichtiger entwicklungspolitischer Baustein". Ansonsten wurde bei der Konferenz wenig darüber gesprochen, wie Männer zu Bestien werden können.

Der internationale Strafgerichtshof in Den Haag könne leider nicht oft dazu beitragen, die Verbrecher zu bestrafen, räumte der dortige Richter Bertram Schmitt ein. Gerade Länder wie der Irak oder Syrien seien nicht Mitglied. Die alternative Überweisung an den UN-Sicherheitsrat fruchte oftmals nicht. Hier müssten nationale Gerichte einspringen, so Schmitt. Deutschland gehe da voran, der Generalbundesanwalt könne hier Verfahren gegen Kriegsverbrecher führen, die Zuflucht in Deutschland suchten. Seit 2014 laufen Verfahren gegen IS-Täter wegen Gewalt gegen jesidische Frauen im Irak. Das sei ein "Hoffnungsschimmer".