1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Vergewaltigte Männer brechen das Schweigen

Leylah Ndinda / Julia Hahn13. Mai 2013

Weltweit wird sexuelle Gewalt als Kriegswaffe eingesetzt - auch gegen Männer. In vielen afrikanischen Ländern wird darüber nicht gesprochen; das Thema ist tabu. Doch die Opfer wollen nicht länger aus Angst schweigen.

https://p.dw.com/p/18X2v
Männliches Vergewaltigungsopfer in Uganda (Foto: DW)
Uganda - männliches VergewaltigungsopferBild: DWL. Ndinda

Juma (Namen der Betroffenen von der Redaktion geändert) erinnert sich noch genau an den grausamsten Tag seines Lebens. "1987 war das. Ganz früh am Morgen haben mich Regierungstruppen aus meinem Haus gezerrt", berichtet der Mann aus Uganda. Heute ist er 78 Jahre alt und noch immer fällt es ihm sichtlich schwer, über die Ereignisse von damals zu sprechen. "Als mich die Soldaten nach draußen stießen, war meine Frau im Haus. Sie haben angefangen, mich zu belästigen und dann haben sie mich vergewaltigt". Juma kommt aus einem Dorf in der Provinz Gulu im Nordwesten Ugandas, einem Teil des Landes, der seit mehr als 20 Jahren keinen Frieden mehr erlebt hat.

Die Rebellen der Lord's Resistance Army (LRA) terrorisieren die Bevölkerung von Gulu. Vergewaltigungen, Entführungen und gezielte Tötungen sind an der Tagesordnung. Und auch Ugandas Armee, die die Rebellen bekämpft, werden sexueller Missbrauch und Vergewaltigungen vorgeworfen. Viele Einwohner sind über die Jahre vor der Gewalt geflohen. Viele suchen Schutz und Sicherheit in Vertriebenen-Camps.

LRA-Rebellen (Foto: AFP/Getty Images)
LRA-RebellenBild: MICHELE SIBILONI/AFP/Getty Images

Ein Tabuthema

Juma war 52 Jahre alt, als die Regierungssoldaten ihn vergewaltigten. Doch erst 25 Jahre später hat er das erste Mal offen darüber gesprochen. Die Begegnung mit anderen Opfern aus Konfliktgebieten hat ihm geholfen. Auch Alex aus dem Ostkongo, der als Flüchtling in Uganda lebt, hat lange geschwiegen. "Wie soll ich denn meiner Frau erklären, dass ich vergewaltigt wurde? Was wird sie von mir denken? Sie wird mich doch nie wieder als Mann betrachten", sagt er. Alex wurde von Regierungssoldaten im Kongo missbraucht.

Weltweit wird sexuelle Gewalt als Kriegswaffe eingesetzt. Doch bislang war kaum bekannt, dass auch Männer in den zahlreichen Konflikten in Afrika zu Opfern von Vergewaltigungen werden. Kaum ein männliches Opfer spricht über die Taten. Das Thema ist tabu, weil Analsex in fast allen Kulturen Afrikas als abartig gilt und Homosexualität meist verboten ist. In Uganda etwa fordern Politiker die Todesstrafe für Schwule und Lesben. Auch in vielen anderen afrikanischen Ländern werden Männer und Frauen wegen ihrer sexuellen Orientierung ausgegrenzt, diskriminiert und bedroht. Dazu kommt: Männer werden dazu erzogen, als "starkes Geschlecht" für die Sicherheit der ganzen Familie zu sorgen. Wenn ein Mann vergewaltigt wird, wird sein Gefühl der emotionalen und körperlichen Überlegenheit zerstört. Das wissen die Täter - und setzen Vergewaltigungen im Krieg gezielt und strategisch ein.

Impotent und psychisch krank

Viele Opfer verdrängen und verschweigen den Missbrauch. "Ich habe meine Kraft als Mann verloren und konnte meine ehelichen Pflichten nicht mehr erfüllen", sagt ein anderer Mann aus dem Ostkongo. "Eines Tages fragte mich meine Frau: Hast du dich etwa umwandeln lassen?" Der Mann entschied sich, seiner Frau von der Vergewaltigung zu erzählen. Doch oft fragt er sich, ob das nicht ein Fehler war. Bis heute habe er keine gute Beziehung zu seiner Familie - eine Belastung, der er nur schwer standhalten kann.

Wie er kämpfen viele Opfer mit lebenslangen Schmerzen, zu den seelischen Qualen kommen auch körperliche. Vergewaltigte Männer haben oft starke Schmerzen beim Stuhlgang, sie können nicht sitzen oder lange stehen und oftmals klagen sie über schwere Kopfschmerzen verursacht durch die traumatische Erfahrung.

Amnesty International-Poster gegen ein Anti-Homosexuellen-Gesetz (Foto: dpa)
Diskriminiert und geächtet: Homosexuelle in UgandaBild: picture-alliance/dpa

Eine Initiative will helfen

Verlässliche Statistiken darüber, wie verbreitet diese Gewaltform in Kriegen ist, gibt es keine. Das soll sich ändern. Das "Refugee Law Project" (RLP) der Makerere-Universität in Ugandas Hauptstadt Kampala berät Asylsuchende und Flüchtlinge in Uganda in rechtlichen Fragen. Nun haben die Helfer eine Initiative ins Leben gerufen, die sich an männliche Vergewaltigungsopfer aus ganz Afrika richtet. "Die Zahlen sind weitaus höher als wir erwartet hätten", sagt Chris Dolan, Leiter des RLP.

Vor drei Monaten hätten seine Mitarbeiter in einem Dorf zunächst mit einer Handvoll Männern gesprochen. Diese Selbsthilfegruppe habe inzwischen 60 Mitglieder. "Auch hier in Kampala haben wir mit sechs Männern begonnen und jetzt sind es schon etwa 70 Mitglieder, und das sind nur die, die sich entschieden haben, offiziell mitzumachen. Wir haben natürlich auch Klienten, die nicht in die Selbsthilfegruppe kommen wollen", so Dolan. Als Sofortmaßnahme werden die Opfer meist zunächst in ein Krankenhaus gebracht und später von Sozialarbeitern beraten und betreut. Offen über ihre Erfahrungen sprechen zu können, sei für viele eine große Erleichterung, sagt Dolan.

Er will noch mehr Opfer ermutigen, endlich ganz offen über ihr Leid zu reden und einen Weg zu finden, mit dem Trauma umzugehen. Im April hat Dolan deshalb gemeinsam mit Überlebenden, Sozialarbeitern, Experten und Ärzten an einer Konferenz zu diesem Tabu-Thema teilgenommen - die erste dieser Art in Uganda.

Wandel muss her in Gesellschaft und Justiz

Seine Organisation setzt sich auch für rechtliche Reformen ein, für eine neue Definition von sexueller Gewalt und Vergewaltigung, die keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern macht, erklärt Dolan: "So dass uns vor Gericht keiner sagen kann: Vergewaltigung von Männern - das existiert nicht im Gesetz". Und auch im Bildungssystem müsse ein Umdenken stattfinden, fordert Chris Dolan vom "Refugee Law Project". "Wir wollen, dass Medizinstudenten ausgebildet werden, angemessen mit Vergewaltigungsopfern umzugehen". Niemand solle in Zukunft jahrzehntelang mit seinem Trauma allein gelassen werden, wie der 78-jährige Juma.