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Verfolger ohne schlechtes Gewissen

10. Dezember 2009

Herta Müller bekommt den Literaturnobelpreis und Radu Tinu kann das nicht verstehen. Als Offizier des Geheimdienstes organisierte er die Verfolgung der Schriftstellerin, als sie in Rumänien lebte. Er bereut nichts

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Schatten eines Mannes mit Schlapphut (Foto: DW)

Temeswar in Westrumänien, im Gebäude der Versicherungsgesellschaft Vienna Insurance Group. Radu Tinu leitet die Kreisfiliale des Konzerns, sein Büro ist spartanisch möbliert. Er ist 60 Jahre alt, groß und kräftig, ein schroffer, soldatischer und impulsiver Mann. Tinu stammt aus einfachsten bäuerlichen Verhältnissen und sieht sich heute als Teil einer Elite mit viel Macht und ohne ethische Kategorien, von der er schon als Jugendlicher fasziniert war: dem Geheimdienst. Von 1985 bis 1989 war er der stellvertretende Chef des rumänischen Geheimdienstes „Securitate“ im Kreis Temesch.

Mitleid mit sich selbst

Akten der "Securitate" in einem Archiv nahe Bukarest (Foto: dpa)
Akten der "Securitate" in einem Archiv nahe BukarestBild: dpa/picture-alliance

„Geheimdienste sind etwas sehr Spezielles, überall in der Welt“, sagt er. „Wenn ich noch einmal zwanzig wäre, würde ich wieder für den Geheimdienst meines Landes arbeiten, denn es ist eine außerordentlich interessante Arbeit. Du machst niemals zwei Tage lang dasselbe. Du musst etwas auskundschaften, musst lesen und ständig etwas vorbereiten. Spionage ist nicht etwas, dass von Türstehern und Autowäschern betrieben wird.“ Radu Tinu hat die Repressionen gegen die Schriftstellerin Herta Müller in den 80er Jahren organisiert. Er ließ sie überwachen, verhören, verfolgen. Die „Securitate“ verbreitete über sie Gerüchte und Falschinformationen. Zum Beispiel, dass Herta Müller selbst „Securitate-Informantin“ sei.

Handeln nach Befehl und Gesetz

Tinu Radu bestreitet, dass er Teil eines Repressionsapparates war. Er habe lediglich die Gesetze respektiert, die gemacht wurden. In der „Securitate“ habe er für Rumänien gearbeitet. Er lebt in einer Welt ohne Zweifel und spricht über seine Opfer mit einer Mischung aus Arroganz und Verachtung. Mit dem Sturz von Regierungschef Nicolae Ceausescu 1989 begann auch die Auflösung der „Securitate“. Tinu Radu überkommt Mitgefühl mit sich selbst, wenn er sich daran erinnert, wie er im Dezember 1989 verhaftet wurde. Zwei Jahre saß er im Gefängnis, unter anderem wegen Totschlags während der Revolution 1989 „Können Sie sich vorstellen, was es heißt, dass man mich, Radu Tinu, über den Bahnhof schleppte, in Handschellen?! Über den Bahnhof Temeswar, und neben mir waren gemeine Verbrecher, die sagten, sie bewachen mich! Wie ist so etwas möglich?!“ Er habe sich eine Liste von Feinden gemacht, deren Schicksale er bis heute verfolge. Er sagt, er freue sich, wenn ihnen ein Unglück geschieht.

Minderwertige Literatur

Soldaten und Zivilisten kämpfen im Dezember 1989 gegen Anhänger des gestürzten Ceausescu (Foto: dpa)
Soldaten und Zivilisten kämpfen im Dezember 1989 gegen Anhänger des gestürzten CeausescuBild: picture alliance / dpa

Wenn man ihn fragt, ob er den Schmerz und das Gefühl der Demütigung jener verstehe, die unter der „Securitate“ und ihm gelitten haben, hebt er den Kopf, sein Blick ist zutiefst verwundert. So als wolle er fragen: Wie denn? Welche Leiden? Er brüstet sich aber heute damit, dass er persönlich in der Wohnung der späteren Nobelpreisträgerin Herta Müller Abhörmikrofone installiert habe. Tinu sagt, Herta Müller übertreibe und lüge, wenn sie als Opfer der „Securitate“ auftrete. Sie habe regelmäßigen Kontakt zu einem westdeutschen Spion, dem damaligen Kulturattaché in Bukarest gehabt.

Im Laufe der Zeit habe er natürlich alle Bücher von Herta Müller gelesen, sagt er. Deren literarische Qualität sei minderwertig und eigentlich nicht nobelpreiswürdig. Radu Tinu war schon immer ein Mann der kleinen und großen Ungeheuerlichkeiten.

Autor: Keno Verseck

Redaktion: Marlis Schaum