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Verfassungsrichter lassen Fragen offen

Sabine Kinkartz17. August 2012

Das Bundesverfassungsgericht erleichtert Militäreinsätze im deutschen Luftraum, wenngleich nur unter strengsten Auflagen. Hat Karlsruhe damit alles klargestellt – oder neue Unsicherheiten geschaffen?

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Zwei Jagdflugzeuge vom Typ Phantom im Flug. Foto: David Hecker/dapd
Bild: dapd

Die Eilmeldung aus Karlsruhe war erst wenige Minuten im Internet verfügbar, da löste sie in den Diskussions-Foren deutscher Fernsehsender, Tages- und Wochenzeitungen bereits heftige Kommentare aus. Der Tenor geht vor allem in eine Richtung: Vom "schleichenden Weg in eine Diktatur" ist da die Rede, andere User fühlen sich "an Weimar" und "die Notstandsgesetze" erinnert. Viele beschäftigt offenbar die Frage, ob das Verfassungsgericht den Politikern mit diesem Beschluss die Möglichkeit eröffnet, nach Belieben auch gegen die eigenen Bürger vorzugehen.

"Wozu soll die Bundeswehr in diesem Ausmaß im Inneren eingesetzt werden dürfen? Welche Situationen gab es bisher, in denen dies nötig gewesen wäre? Womit wird gerechnet?", fasst ein User in einem Forum seine Bedenken zusammen. Fragen, die nach dem Beschluss der Bundesverfassungsrichter aber offenbar auch die Politiker nicht beantworten können.

Bundesregierung lässt sich mit Stellungnahme Zeit

Fast fünf Stunden dauerte es, bis aus den Reihen der Bundesregierung eine Stellungnahme kam. "Das Bundesministerium des Innern und das Bundesministerium der Verteidigung begrüßen die heutige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Einsatz der Streitkräfte im Inland", hieß es in einer Pressemitteilung. Der Beschluss bestätige die Rechtsauffassung der Bundesregierung im Kern. "Die Sicherheit unserer Bürger, gerade auch in Extremfällen, zu gewährleisten, ist eine der wichtigsten Aufgaben unseres Staates. Die Folgerungen aus der Entscheidung sind jetzt gründlich zu prüfen."

Was die Folgerungen betrifft, die Verteidigungsminister Thomas de Maiziere (CDU) und Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) aus dem Beschluss ziehen könnten, scheint Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) allerdings konkrete Befürchtungen zu haben. "Die Trennung von innerer und äußerer Sicherheit ist und bleibt richtig. Nicht alles, was verfassungsrechtlich möglich ist, ist politisch richtig", erklärte sie zu der Gerichtsentscheidung. Die Bundesrepublik sei "mit dem Grundsatz groß geworden, dass die Bundeswehr kein Hilfspolizist ist". Für die FDP in Regierungsverantwortung bleibe das handlungsleitend.

Verbreitete Ratlosigkeit

Nach dem Beschluss aus Karlsruhe ist bei vielen Politikern eine gewisse Zurückhaltung zu spüren. Das liegt vor allem wohl daran, dass noch niemand so genau sagen kann, was mit einer "Ausnahmesituation katastrophischen Ausmaßes" gemeint sein könnte. Die fehlende Definition dieses Begriffs durch die Verfassungsrichter ist bei vielen Oppositionspolitikern durchaus Anlass für deutliche Kritik. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Hartmann meint, Karlsruhe lasse "alle Verantwortlichen hilflos zurück", indem die Richter keine Beispiele für eine solche Ausnahmesituation nennen würden.

Verteidigungsminster Thomas de Maiziere auf einer Pressekonferenz in Kabul. (Foto:Ahmad Jamshid/AP/dapd)
Bundesverteidigungsminister Thomas de Maiziere (re.): "Die Folgerungen aus der Entscheidung sind gründlich zu prüfen."Bild: AP

Auch Claudia Roth, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen kritisiert, der Beschluss gebe "keine Rechtssicherheit in schwierigen Entscheidungssituationen". Die Konsequenz kann für sie nur heißen: "Da das Urteil bewaffnete Kampfeinsätze der Bundeswehr gegen Terrorangriffe im deutschen Luftraum jetzt in engen Grenzen zulässt, wird es die Aufgabe der Politik sein, diese Grenzen im Lichte der Verfassung klar zu definieren.“

Der Sprecher der Linksfraktion, Paul Schäfer, sieht in dem Beschluss aus Karlsruhe hingegen eine Gefahr für die Demokratie. Die Bundesregierung propagiere "seit Langem eine Aufhebung der unterschiedlichen Zuständigkeiten für innere und äußere Sicherheit." Die "Vermengung von Bundeswehr, Katastrophenschutz und Terrorismusabwehr" unterlaufe das Grundgesetz.

Zustimmung von der Union

Innen- und Verteidigungspolitiker der Unionsparteien begrüßen hingegen die Entscheidung aus Karlsruhe. Der Beschluss bestätige "die bisherige Auffassung der Union, dass es terroristische Anschläge geben kann, bei deren Abwehr die Polizei allein überfordert wäre", sagte der CSU-Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Uhl (CSU). Der CDU-Politiker Ernst-Reinhard Beck (CDU) meinte, das Urteil schließe eine "Lücke zwischen dem Einsatz bei Naturkatastrophen und terroristischen Angriffen". Der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Wolfgang Bosbach (CDU), erklärte, die Entscheidung hole die bisherigen Einsätze der Luftwaffe zur Abwehr drohender Gefahren "aus einer verfassungsrechtlichen Grauzone heraus" und stelle klar, "dass diese Einsätze von unserer Verfassung gedeckt sind".

Verfassungsrichter waren sich nicht einig

Die möglicherweise härteste Kritik am Karlsruher Bundeswehr-Beschluss kommt im Übrigen aus dem Gericht selbst. In einem Sondervotum stellte sich Verfassungsrichter Reinhard Gaier gegen seine übrigen fünfzehn Kollegen. Der Beschluss habe die Wirkung einer Verfassungsänderung, das Gericht habe seine Befugnisse überschritten. Wer die Trennung von Militär und Polizei aufheben wolle, müsse das Grundgesetz ändern. Das jedoch sei trotz politischer Bemühungen nicht gelungen, schreibt Gaier. "Selbst wenn man es unerträglich empfindet, dass die Streitkräfte hiernach bei terroristischen Angriffen untätig in der Rolle des Zuschauers verharren müssen, ist es nicht Aufgabe und nicht Befugnis des Bundesverfassungsgerichts, korrigierend einzuschreiten."