1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Bürger gegen Braunkohle

Karin Jäger5. Juni 2013

Braunkohle ist nach wie vor ein wichtiger Energieträger in Deutschland. Doch im rheinischen Revier protestieren Bürger, weil sie für den Tagebau ihre Dörfer verlassen sollen. Das Bundesverfassungsgericht ist gefragt.

https://p.dw.com/p/18eS2
Rauchschwaden steigen aus dem Braunkohlekraftwerk Frimmersdorf hinter Garzweiler auf. (Foto: dpa/ Federico Gambarini)
Bild: picture-alliance/dpa

Die rauchenden Schlote der fünf Braunkohlekraftwerke am Rande der Tagebaugebiete zwischen Köln, Mönchengladbach und Aachen sind von Weitem zu erkennen. Dabei gilt Braunkohle als Klimakiller Nummer eins. Bei der Stromerzeugung wird mehr umweltschädliches Kohlendioxid freigesetzt als bei anderen fossilen Energieträgern wie Steinkohle, Erdgas oder Erdöl. Trotzdem wird mehr als ein Viertel der Energie in Deutschland mit Braunkohle produziert. Vorteil: Sie muss nicht importiert werden. Nachteil: Landschaften werden zerstört, ganze Dörfer umgesiedelt, die Umwelt wird geschädigt.

Der Tagebau ist in der Region umstritten. Nicht mal ein Drittel des geplanten Abbaus wurde bislang realisiert. Tausende Menschen sollen ihre Dörfer noch verlassen, um Platz zu machen für die riesigen Bagger und den Tagebau. Die Naturschutzorganisation BUND und ein betroffener Bürger haben geklagt, sie berufen sich auf das Eigentumsrecht und das Grundrecht, den Wohnsitz frei wählen zu dürfen. Am Dienstag (04.06.2013) verhandelte das Bundesverfassungsgericht darüber.

In der Region wird so viel Braunkohle gefördert, dass sich damit 15 Prozent des gesamten Energiebedarfs Deutschlands decken lassen. Der Umweltminister des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen (NRW), Johannes Remmel (Bündnis 90/Grüne), sagte der Deutschen Welle: "Das sind nun einmal Kraftwerke für Braunkohle-Verbrennung, die wir haben und die einen wesentlichen Anteil auch bis 2050 am Energiemix haben." Seine Parteikollegin Monika Düker drückt es deutlicher aus: "Unsere politische Ablehnung des Baus neuer Kohlekraftwerke, auch neuer Braunkohlekraftwerke, bleibt bestehen."

Protestschild gegen die Umsiedlung der Bewohner auf dem Gebiet des Rheinischen Braunkohletagebaus. Foto: DW/ Karin Jäger, 22.05.2013
Protestschild gegen die UmsiedlungBild: DW/K. Jäger

Die Versilberung des Bodenschatzes

Energiekonzerne wie RWE profitieren von dem Geschäft. "Die Kohle spielt in unserem Portfolio gegenwärtig noch eine sehr große Rolle", so Hans-Wilhelm Schiffer, Leiter der Energiewirtschaft bei RWE Power im DW-Interview. Genauer gesagt erzeugte das Unternehmen 2012 fast die Hälfte seines Stroms mit Braunkohle. Und damit steigerte der Konzern auch den CO2-Ausstoß.

"Doch RWE hat unverschämtes Glück gehabt", sagt Stephan Pütz, der von der Umsiedlung betroffen ist und dagegen Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt hat: "Der Preis für die CO2-Zertifikate hat nicht die Entwicklung genommen, die man erwartet hat." Mit der Verteilung dieser Verschmutzungsrechte sollte der weltweite Kohlendioxidausstoß gesenkt werden. Doch die Preise für diese Zertifikate fielen unter fünf Euro pro Tonne CO2, obwohl einst mindestens 17 Euro geplant waren. Abbau und Verstromung sind dadurch weiter hochprofitabel.

Und so graben sich 240 Meter lange und sieben-Geschoss-hohe Schaufelradbagger in den Untergrund. Denn unter den wertvollen Ackerböden der Tagebauen Inden, Hambach und Garzweiler lagern die dicken Braunkohleflöze bis zu 210 Meter tief in der Erde. Jeden Tag fördern sie Mengen, mit denen eine Lastwagen-Kolonne von 250 Kilometern Länge beladen werden könnte. Bis 2045 soll der Vorrat von geschätzt 1,3 Milliarden Tonnen Braunkohle reichen, die über Jahrmillionen aus abgestorbenen Pflanzen und Tieren in Wäldern und Mooren entstand.

Die riesigen Schaufelräder eines Braunkohlebaggers bei Garzweiler II (Bildrechte: pommes.fritz123/flickr cc-by-sa 2.0 )
Mit 96 Metern so hoch wie der Kölner Dom: Schaufelrad-BaggerBild: pommes.fritz123/flickr cc-by-sa 2.0

"Wir entwickeln die Technik der Braunkohlekraftwerke weiter, um CO2-sparender Strom produzieren zu können", sagt RWE-Manager Schiffer mit Hinweis auf das Werk Grevenbroich-Neurath. Bei der Einweihung am Rande des Tagebaus Garzweiler vor knapp einem Jahr waren sowohl Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) als auch NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) dabei.

In diesem Braunkohlekraftwerk, das als effektivstes der Welt gilt, wird ein Wirkungsgrad von mehr als 43 Prozent erreicht. Im Umkehrschluss heißt das: Der größte Teil der Energie, die in dem fossilen Brennstoff steckt, verpufft trotzdem ungenutzt. Ein Grund: Die Braunkohle besteht zur Hälfte aus Wasser, das erst entzogen werden muss.

Ohne Rücksicht auf Mensch und Natur

Allein in den rheinischen Tagebaugebieten werden bis 2045 mehr als 30.000 Menschen ihre Heimatdörfer verlassen müssen, denn eine Förderung unter Tage ist hier nicht möglich. Der Boden ist durch Kiese, Sande und Wasser zu weich, um Stollen und Schächte in den Untergrund zu treiben. So werden am Ende 80 Dörfer, ganze Landstriche ausradiert sein. Drei Autobahnen werden verlegt. Die Autobahn A4, die sich quer durch die Mitte Deutschlands zieht, wird auf einem 13,5 Kilometer langen Teilstück umgeleitet. Allein diese Maßnahme kostet mindestens 180 Millionen Euro. Knapp die Hälfte davon trägt RWE, den großen Rest müssen die Steuerzahler übernehmen.

Autobahnen werden umgeleitet (hier die A4 bei Kerpen-Buir) wegen des Braunkohletagebaus. (Foto: DW/ Karin Jäger)
Neubau der A4 zwischen Merzenich und BuirBild: DW/K. Jäger

Der 5500 Hektar große Hambacher Forst, von Umweltschützern der letzte "Urwald Mitteleuropas" genannt, wird für das gigantische Braunkohle-Projekt gerodet. Seltene und Jahrhunderte alte Stieleichen, Hainbuchen und die vom Aussterben bedrohten Haselmaus und Bechsteinfledermaus sind hier zu finden. Umweltschützer aus ganz Europa haben ein Lager errichtet. Die Aktivisten leisten Widerstand gegen RWE, Deutschlands größten Stromerzeuger, der ihrer Ansicht nach "fremdbestimmt und rücksichtslos die Lebensgrundlagen zerstört". Andreas, 22, aus Rostock, lebt schon seit einem Jahr im Camp, mit Nahrungsmitteln versorgt von Anwohnern: "Das geht nicht nur die Leute an, die hier wohnen. Hier wird massiv die Erde zerstört. Das geht uns alle an."

Andreas, Sprecher der Umweltaktivisten, die ein Blockade-Camp am Hambacher Forst errichtet haben (Foto: DW/ Karin Jäger,)
Umweltaktivist Andreas kämpft für den Bestand alter BäumeBild: DW/K. Jäger

Dass Protest zwecklos ist, mussten schon Tausende Bergbaugeschädigte erfahren, die Risse an Fassaden, Innenwänden oder Bodenfliesen ihrer Häuser reklamierten - mitunter auch 20 Kilometer vom Tagebau entfernt. Doch die Betroffenen müssen nachweisen, dass die Schäden durch den Bergbau entstanden sind. Nicht die Bergbaubetreiber sind in der Beweispflicht. Ursache ist aber meistens das überall sinkende Grundwasser, das bis zu einer Tiefe von 550 Metern abgepumpt wird, damit die schweren Bagger ungehindert die Kohle freischaufeln können. Dass dadurch grundsätzlich auch das Gelände absinkt, haben Gutachten bereits ergeben.

Klima- und Umweltzerstörung = Braunkohle-Energie

Regelmäßige Messungen des Landesumweltamtes belegen, dass die Feinstäube, die durch den Abbau freigesetzt werden, über den zulässigen Werten der EU liegen. Laut einer Studie der Allianz Gesundheit und Umwelt (HEAL) rechnen Experten mit Kosten für das Gesundheitssystem in zweistelliger Milliardenhöhe. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt die Umweltorganisation Greenpeace in ihrer Studie mit dem Titel "Tod aus dem Schlot". Als umweltschädlich und unwirtschaftlich stuft Claudia Kemfert, Energie-Expertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, die Kohlekraft ein, die "lediglich den Vorteil hat, dass sie kurzfristig die größten Gewinne verspricht".

Große Seenlandschaft in Kohlekratern

Damit die Anrainer wegen Schädigungen der Atemwege und des Herz-Kreislauf-Systems nicht auf die Barrikaden gehen, lässt RWE Kohletransportbänder, Bunker und auch die Natur am Rande der Abraumhalden mit Wasserstrahlern berieseln.

Langfristig wird die Region zwischen Köln, Mönchengladbach und Aachen eine einzige Freizeitlandschaft sein. Denn die stillgelegten Abraumhalden werden von Osten nach Westen rekultiviert. Doch riesige Krater bleiben, aufgrund des Volumens der Kohle, die der Erde entnommen wird. Allein der Tagebau Hambach hat derzeit eine Größe von 85 Quadratkilometern.

Aus Kostengründen sollen die Löcher bei Inden, Garzweiler und Hambach mit Wasser, unter anderem aus dem Rhein, gefüllt werden. Ein Prozess, der Jahrzehnte dauern wird. Der Hambacher See soll mit 23 Quadratkilometern nach dem Bodensee das größte Binnengewässer Deutschlands werden. Für die Rekultivierung hat RWE drei Milliarden Euro veranschlagt. "Was aber ist, wenn sich herausstellt, dass sich der Tagebau nicht mehr rechnet?", fragt sich Stephan Pütz, der aus Immerath umsiedeln soll, weil sein Dorf dem Abbau zum Opfer fällt. "Es ist ja schon vorgekommen in der deutschen Wirtschaftsgeschichte, dass Unternehmen ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen sind." Pütz befürchtet, dass am Ende der Steuerzahler für die Schäden aufkommen muss, die RWE-Bagger verursachten. Die Verantwortlichen würden dann längst nicht mehr im Amt sein.

Blick auf den Hambacher Tagebau vom Aussichtspunkt bei Elsdorf-Giesendorf (Foto: DW/ Karin Jäger)
2500 Millionen Tonnen Braunkohle liegen im Tagebau HambachBild: DW/K. Jäger

Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird frühestens in zwei Monaten erwartet.