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Verbrechen am Nordrand Europas

Hannelore Hippe30. August 2004

Die Krimis der Norwegerin Anne Holt erscheinen in Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien und sogar in Japan: Mit den Geschichten aus Skandinavien können die Menschen offenbar etwas anfangen. Egal, wo.

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Oslo: Verbrechen verborgen vom NebelBild: dpa


Eigenwillige Polizistinnen und Polizisten eines Osloer Mord-Dezernats sind noch eingenwilligeren Verbrechen auf der Spur - und das in einem Land mit nur viereinhalb Millionen Einwohnern, das im Ausland eher wegen seiner atemberaubenden menschenleeren Landschaft statt für die kriminelle Energie seiner Bewohner bekannt ist. Was also macht die Krimis so erfolgreich in einer Gesellschaft, die wie die norwegische sehr demokratisch und egalitär orientiert ist und ohne große soziale Probleme am nördlichen Rande Europas existiert?

Krimis aus erster Hand

Anne Holt
Die norwegische Journalistin, Polizistin und Politikerin Anne Holt (1990)Bild: dpa

Anne Holt, heute Mitte vierzig, hatte in ihrer Heimat immer schon mit dem Verbrechen zu tun. Zunächst als Rechtsanwältin, dann als Staatsanwältin bei der Osloer Polizei und schlussendlich als Justizministerin ihres Landes. Reichte ihr das nicht? "Es reizte mich zu schreiben", sagt sie einfach. "Ich bin ein großer Fan epischer Erzählungen, von Dostojewski oder Dickens zum Beispiel. Die Kriminalliteratur setzt diese Tradition fort."

Und was hält man in Norwegen von Krimis? Werden sie auch als reine Unterhaltungsliteratur abqualifiziert, so wie in Deutschland? "In der Zukunft wird es diese Unterscheidung zwischen U- und E-Literatur nicht mehr geben", ist sich Holt ziemlich sicher. "Die für mich interessantesten Menschen sehen sich sowohl einen französischen Film als auch eine Hollywoodproduktion an. Oder sie lesen obskure Lyrik und Krimis, alles nebeneinander", berichtet sie. "Die jungen Leute von heute haben bereits ein viel breiteres kulturelles Spektrum, als es zum Beispiel meine Generation hatte."

Brüchige Gesellschaft

Das Spektrum der norwegischen Gesellschaft spiegelt sich auch in der Zusammensetzung des Kriminal-Dezernats in Anne Holts Romanen wider: Da gibt es den freundlichen, nicht gerade mit einem Übermaß an Kombinationsgabe ausgestatteten Haakon Sand aus der Mittelschicht. Daneben Billy T., der aus dem harten Straßenmilieu Oslos stammt und in seinen Ermittlungsmethoden nicht eben zimperlich ist.

Hauptakteurin in den bisher erschienenen Romanen ist jedoch Hanne Wilhelmsen - eine spröde Einzelgängerin, die sich nicht in die Karten schauen lässt und die sich sowohl beruflich als auch privat mehr und mehr isoliert. Auf den ersten Blick ist sie nicht unbedingt eine sehr sympathische Frau. "Hanne entstand, weil ich einen weiblichen Inspektor wollte. Man braucht ja einen Superermittler, der ganz toll ist", erinnert sich Holt. Aber ganz so einfach wollte sie es sich - und Hanne - dann doch nicht machen.

"Nachdem ich mir Hanne ausgedacht hatte, war sie eine Pappfigur, die immer eine Fassade aufrecht erhält, nichts rauslässt, keine Brüche hatte", erzählt die Autorin. "Ich dachte mir dann eine unheimlich schwierige Kindheit für sie aus. So hat sie sich einfach entwickelt. Auch ihre lesbische Beziehung ist kein politisches Statement, sie ist halt einfach so." Und: Wird sie geliebt? "Hanne ist sehr streng, eigentlich fast unsympathisch", sagt Anne Holt. "Ich hätte sie eigentlich nicht so gern als Freundin, ehrlich gesagt."

Frauenpower in Norwegen

Dass Anne Holt sich sogar schon zu der Zeit, als sie noch Justizministerin war, offen zu ihrer Lebenspartnerin bekannte und inzwischen mit ihr sogar eine Tochter großzieht, spricht nicht nur für ihre eigene Stärke, sondern sagt auch etwas über die norwegische Gesellschaft aus: Anne Holts Frau hat als Verlagslektorin zwei Jahre Babypause genommen, und die Autorin selber arbeitet nur sechs Monate im Jahr an einem Buch. Die zweite Jahreshälfte bleibt für die Familie reserviert.

Bei so viel Emanzipiertheit ist es nicht verwunderlich, dass viele vermuten, es gäbe in Norwegen viel mehr Krimiautorinnen als Autoren. Das ist, rein zahlenmäßig gesehen, nicht der Fall. Die Frauen haben aber einfach viel mehr Power. "Jedes Jahr kommen in Norwegen 25 bis 30 Krimis auf den Markt", rechnet Holt vor. "Nur drei oder vier sind von Frauen." Aber die Frauen haben mehr Erfolg, sie sind in den Bestsellerlisten zu finden. Denn: "Wir sind ziemlich gut."