1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Schöne neue Datenwelt

Maximiliane Koschyk
25. Mai 2018

Ist die Datenschutzgrundverordnung ein netzpolitischer Meilenstein oder pure Überregulation? Seit dem Skandal um Cambridge Analytica herrscht eine generelle Unsicherheit: Wer bestimmt über die Zukunft des Internets?

https://p.dw.com/p/2yABH
Symbolbild Digitale Welt
Bild: Imago/Schöning

Angela Merkel fordert mehr Datensicherheit

"Wir haben unsere Verantwortung nicht breit genug gesehen", hat Mark Zuckerberg vor dem Europäischen Parlament erklärt. Ob Fake News, die Beeinflussung von Wahlen oder anderer Datenmissbrauch: Der Gründer des milliardenschweren Online-Konzerns Facebook war nach Brüssel gereist, um sich EU-Parlamentariern zu all diesen Vorwürfen befragen zu lassen. Zu Beginn demonstrierte er guten Willen: Die Europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) etwa werde bei Facebook umfassend umgesetzt werden, nicht nur für europäische Nutzer, sondern weltweit, versprach der Konzernchef.

Die Verwicklungen seines Unternehmens in den Datenmissbrauchsskandal um die britische Firma Cambridge Analytica haben auch der DSGVO der EU ungeahnte Aufmerksamkeit beschert. Fünf Jahre lang war sie verhandelt und 2016 verabschiedet worden. Mit dem Inkrafttreten an diesem Freitag, den 25. Mai 2018, löst sie die bis dato gültige EU-Richtlinie ab. Nach Bekanntwerden des Datenskandals bei Facebook im März 2018 schien das neue Datenschutzgesetz der EU genau zum rechten Zeitpunkt in Kraft zu treten. Doch auch das hat bei weitem nicht jeden von Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit der neuen Regulierung aus Brüssel überzeugt.

<div class="opinary-widget-embed" data-poll="fhlen-sie-sich-genug-informiert-ber-die-" data-customer="deutschewelle"></div> <script async type="text/javascript" src="//widgets.opinary.com/embed.js"></script>

Die deutsche Bußgeld-Panik vor der DSGVO lenkt ab

In Deutschland herrscht einerseits Unsicherheit über die Auswirkungen des Gesetzes. Die Betreiber von Internetseiten müssen ihre Nutzer nun viel ausführlicher über die Verwertung aufklären als zuvor. In der Vergangenheit gegebene Einverständniserklärungen - für Newsletter, Cookies oder die Nutzung der Kundendaten - sind ungültig und müssen erneut eingeholt werden. Selbst Blogger müssen ihren Lesern erklären, wie und in welchem Umfang ihre Seiten-Besuche erfasst werden. Bei Verstößen drohen empfindliche Strafen.

Voßhoff: DGSVO bietet bessere Instrumente gegen Missbrauch

Diese Verunsicherung ist nicht völlig unbegründet. Auf Informationsportalen klären Behörden und Wirtschaftsverbände zwar über die neuen Rechte und Pflichten der Internetnutzer auf. Doch selbst Datenschutzbehörden haben eingeräumt, dass sich die genauen Auswirkungen erst nach Inkrafttreten des Gesetzes zeigen werden. "Ich verstehe die Unsicherheit bei vielen", erklärt die Datenschutzbeauftragte der Bundesregierung, Andrea Voßhoff im Interview mit der DW. Vorwürfe aber, die Bundesregierung habe nicht offensiv genug aufklärt, weist sie zurück: "Ja, man kann immer noch mehr informieren", sagt Voßhoff, "aber es setzt eben auch die Initiative eines jeden Einzelnen voraus."

Wer darf über den Datenhandel bestimmen?

Der Aufwand mag - besonders für kleine und mittlere Betriebe - verhältnismäßig groß sein. Doch das Gesetz wirft eine viel grundsätzlichere Frage auf: Regulieren oder Liberalisieren? Das ist eine klassische Marktordnungsfrage: Daten sind längst ein Wirtschaftsgut, sie werden gehandelt. Oder, wie es der Netzexperte Martin Giesler ausdrückt: "Daten sind das neue Öl."

Doch nach welcher Marktordnung wird der Rohstoff gehandelt? "Da treffen Verbraucherschützer und Datenschützer auf industrielle Interessen", sagt Nicola Jentzsch von der Stiftung Neue Verantwortung, einem Berliner Think Tank "für die Gesellschaft im technologischen Wandel". "Die Industrie möchte natürlich so viel Freiheit wie möglich im Umgang mit den Daten. Und die Verbraucher wollen so viel Kontrolle wie möglich."

Unter Wirtschaftswissenschaftlern sei das derzeit ein riesen Thema, sagt der Schweizer Ökonom und Journalist Hannes Grassegger. "Wir haben sozialistische Ökonomen, die versuchen, die Vision des Gemeinschaftseigentums aufrechtzuerhalten, und es gibt welche, die sehr klassisch-kapitalistisch sagen: Wir müssen die Knappheit neu erfinden." Die Vorstellungen von Ökonomen reichen von Datengenossenschaften für Gesundheitsdaten über Überlegungen zu einer neuen Rechtsform für Dateneigentum. Die aber scheiterten teilweise schon an grundlegenden Zuordnungsfragen - etwa worauf sich solche Eigentumsrechte beziehen können, erklärt die promovierte Ökonomin Jentzsch: "Auf die Rohdaten? Auf die aus Rohdaten gewonnenen Informationen? Oder auf das Wissen, das auf den aus Rohdaten gewonnenen Informationen basiert?"

Expertin: DSGVO wird globale Ordnung verändern

Die DSGVO der EU beantwortet diese Fragen nur bedingt. Sie verpflichtet vor allem Seitenbetreiber zu Transparenz und gibt Verbrauchern damit vor allem die Möglichkeit, mehr darüber zu erfahren, was mit ihren Daten geschehen soll. Und dieser Nutzung zu widersprechen.

Infografik DSGVO Verbraucherschutz DEU

Die Datenökonomin Jentzsch rechnet mit einem deutlichen Impuls: "Ich gehe davon aus, dass die Datenschutzgrundverordnung die globale Ordnung der Datenschutzregime relativ stark verändern wird." Ursache dafür seien Aspekte wie das "Marktortprinzip": Demnach ist künftig nicht mehr der Standort des Daten sammelnden Unternehmens, sondern der des Nutzers, des EU-Bürgers relevant. Der Datenschutz wird nicht von Unternehmensseite, sondern von Nutzerseite und damit grenzüberschreitend gedacht. "Das wird wieder dazu führen, dass andere Länder versuchen werden, sich diesem Niveau des Datenschutzes anzupassen."

Dass in Deutschland die DSGVO teilweise kritisch gesehen wird, sagt der Schweizer Grassegger, habe auch damit zu tun, dass der NSA-Skandal den netzpolitischen Diskurs sehr geprägt habe: "Damals ging es bei der Debatte um staatliche Überwachung und staatliche Eingriffe in das digitale Leben von den Menschen", sagt der Journalist, dessen Bericht "Ich habe die Bombe gezündet" nach der US-Wahl erstmals die Machenschaften von Cambridge Analytica aufdeckte. "Deshalb konzentrieren sich diese Kritiker bis heute auch eben auf die staatliche Regulation." Bedenken vor staatlicher Überregulierung seien in Anbetracht der 99 Artikel umfassenden DSGVO durchaus begründet, sagt Grassegger. "Das System ist am Ausufern, wenn man nur auf Regulation setzt."

Doch das sei bei der DSGVO nicht der Fall, meint Grassegger: "Das ist eine Verbesserung des digitalen Lebens von Hunderten Millionen EU-Bürgern. Kein Nutzer irgendwo anders wird dadurch schlechter gestellt." Die Unzufriedenheit, die derzeit zu beobachten seien - "mit den politischen Gefahren für die Demokratie, für die Sicherheit des einzelnen" - sei ein Indiz dafür, wie groß die Mängel des bisherigen Systems seien. 

Müssen wir das Internet umbauen?

Vielleicht braucht es aber weder juristische Neuschöpfungen, noch den kompletten Umbau des Internets. "Wenn sich in den Leuten das Bedürfnis geändert hat, wie ihre digitale Welt aussehen soll", sagt Grassegger, "dann werden die Unternehmen darauf reagieren." Doch um eine Nachfrage zu formulieren, müssen Bürger informiert werden, damit sie wissen können, was sie nicht wollen. Sie müssen handlungsfähig sein.

Brüssel EU-Parlament | Mark Zuckerberg, Facebook-CEO mit Antonio Tajani
EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani (rechts) hatte Facebook-Gründer Mark Zuckerberg nach Brüssel gebetenBild: Getty Images/AFP/T. Roge

Die Entscheidung, wer über die Gesellschafts- und Marktordnung des Internets mitbestimmen soll, ist in Brüssel offenbar noch nicht endgültig gefallen. Das zeigt nicht nur die DSGVO, sondern auch das Gespräch der EU-Parlamentarier mit Mark Zuckerberg: Ihre Fragen an den Facebook-Chef waren zwar deutlich kritischer als die ihrer US-Kollegen. Besonders scharf kritisierte Zuckerberg der Fraktionsvorsitzende der Allianz der Liberalen und Demokraten, Guy Verhofstadt. Er forderte von ihm, dass er sich entscheiden müsse: Ob er eine Technologie-Ikone wie Bill Gates oder Steve Jobs sein wolle, oder "ein Genie, das ein digitales Monster geschaffen hat, das unsere Demokratien zerstört".

Die EU-Parlamentarier waren allerdings selbst für ihr Verhalten kritisiert worden: Nach ausufernden Fragen ließen sie Zuckerberg kaum Zeit für seine Antworten. "Mir ist bewusst, dass es viele konkrete Antworten gab, auf die ich nicht konkret eingehen konnte", erklärte Zuckerberg daraufhin nur trocken am Ende seines Treffens unter entrüsteten Rufen der Parlamentarier. In jedem Fall ist die Debatte um die Zukunft des Internets noch nicht beendet.