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Serbisch-albanische Anthologie

24. März 2011

Ein serbisch-kosovarisches Literaturprojekt versucht, ein Tabu zu brechen und schickt über Poesie, Prosa und Essays Liebesgrüße aus Prishtina nach Belgrad und umgekehrt. Auf der Leipziger Buchmesse wurde es vorgestellt.

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Buchcover "Aus Belgrad in Liebe" in Albanisch rot durgestrichen (Foto: DW)
Aus Belgrad in LiebeBild: MM

Es war seine Idee, Literatur aus dem unbekannten Nachbarland in Serbien zu veröffentlichen. Sasa Ilic ist Mitbegründer und Redakteur von "Beton", eines "kulturpropagandistischen Pamphletes", wie sich die gesellschaftskritische Beilage der Belgrader Tageszeitung "Danas" nennt. "Lass uns eine serbisch-albanische Anthologie herausgeben!", hatte er 2010 auf der Leipziger Buchmesse seinem Schriftstellerkollegen aus dem Kosovo, Jeton Neziraj, vorgeschlagen. Und der 33-jährige Kosovo-Albaner sagte prompt zu. Ein Jahr später waren die frisch gedruckten Bücher in serbischer und albanischer Sprache auf der Leipziger Buchmesse 2011 zu sehen. Eine Kostprobe stand den Besuchern sogar auch in deutscher Übersetzung in einer Sonderausgabe von "Beton" zur Verfügung.

Misstrauen überwiegt

Sie tragen provokante Titel, die, wenn man sie sich albanisch oder serbisch auf der Zunge zergehen lässt, nahezu blasphemisch klingen: "Nga Beogradi me Dashuri" (Aus Belgrad in Liebe) und "Iz Pristine s ljubavlju" (Aus Prishtina in Liebe). Dessen sind sich die Herausgeber mehr als bewusst. Ihre Absicht, ein Tabu zu brechen, wird schon auf dem Buch-Cover sichtbar. Dessen Text ist mit einem roten Balken, der an Zensur erinnert, durchgestrichen. Denn auch zwölf Jahre nach dem Krieg gegen Ex-Jugoslawien gilt Vertrauen zwischen Serben und Kosovo-Albanern als etwas Unmögliches. Erst vor kurzem, drei Jahre nach der Gründung des kosovarischen Staates, und unter großem Druck seitens der Europäischen Union, haben sich zum ersten Mal Vertreter der beiden Staaten in Brüssel getroffen, um ihre zahlreichen technischen Probleme zu lösen.

Keine Nationalisten

Neziraj Jeton Neziraj, Mitinitiator des serbisch-albanischen Anthologieprojekts, im Profil (Foto: DW)
Jeton Neziraj filterte Nationalisten ausBild: Juli Ndoci

Sasa Ilic und Jeton Neziraj zeigen, dass vertrauensvoller Dialog möglich ist. Die Auswahl der Texte für ihre Anthologie überließen sie jeweils dem anderen. "Unsere Zusammenarbeit basierte auf gegenseitigem menschlichem und intellektuellem Vertrauen. Und als wir dann am Ende die Texte gelesen haben, haben wir gesagt: Das ist genau das, was wir wollten", erzählt Ilic. Die serbischen Texte beinhalten Erzählungen von etablierten Schriftstellern, wie Milos Zivanovic, Jelena Djokic oder Sasa Ciric sowie neuen Autoren, die vom Mainstream in Serbien nicht beachtet werden, wie Ildikó Lovas, György Szerbhorváth aus der Vojvodina oder Enes Halilovic aus der mehrheitlich von Muslimen bewohnte Provinz Sandzak im Süden Serbiens.

Eine Bedingung stellten die Herausgeber schon am Anfang: Es würden keine nationalistischen Schriftsteller veröffentlichen werden. "Das war leicht: Ich schloss jeden aus, der mich fragte, ob er in der Anthologie als Autor der Republik Kosova vorgestellt sein würde", witzelt Neziraj. Problematischer sei es jedoch für ihn, gute Texte zu finden. "Wir haben wenige gute Prosaautoren und viel zu viele Dichter. Deshalb haben wir nicht nur Prosa, sondern auch Poesie, Essays und Theaterstücke reingenommen", sagt Neziraj. Viele der Texte erscheinen zum ersten Mal in serbischer Sprache, manche habe er zuvor nur bei Facebook gelesen.

Bei den Serben spielen die Kriegserlebnisse nur in wenigen Fällen eine Rolle, beispielsweise in Sasa Ilics Erzählung "Chinesen-Viertel", wo er über seine erste Begegnung mit serbischen Flüchtlingen aus dem Kosovo berichtet oder in Borivoje Adasevics "Für einen fremden Herren", der die Rache nach einer Vergewaltigung thematisiert. In der serbischsprachigen Anthologie hingegen ist der Kosovo-Krieg in den Jahren 1998/1999 oft ein Thema. "Das hat damit zu tun, dass fast alle albanischen Autoren den Krieg am eigenen Leib erlebt haben. Einige von ihnen wie Halil Matoshi oder Ardian Haxhaj verbrachten sogar mehrere Jahre in serbischer Gefangenschaft", erklärt Neziraj.

Tradition der Versöhnung

Porträt von Shkelzen Maliqi (Foto: DW)
Shkelzen Maliqi sieht lieber in die ZukunftBild: Juli Ndoci

"Das wird insbesondere die Belgrader Anthologie "Iz Pristine s Ljubavlju" unbeliebter bei vielen Menschen in Serbien machen, als ihr Pendant in Pristina", vermutet Shkelzen Maliqi, Herausgeber der Zeitschrift für zeitgenössische Kultur MM, als deren Nummer die albanischsprachige Ausgabe erschienen ist. Mit dem 1947 geborenen Philosophen und Intellektuellen knüpft die junge Kulturszene in Kosovo an eine alte Tradition der künstlerischen und pazifistischen Avantgarde an. Noch im Jahre 1997 versuchte Maliqi, durch gemeinsame Kunstprojekte einen Versöhnungsprozess einzuleiten, um den Krieg abzuwenden. "Viele sagen, erst muss das Verbrechen gesühnt werden, dann kann die Kommunikation folgen. Ich sehe lieber in die Zukunft, so ist mein Wesen", begründet er seine Haltung.

Die Anthologien, die mit Hilfe des Übersetzernetzwerks Traduki entstanden sind, werden Mitte April zunächst in Pristina und dann in Belgrad zum ersten Mal präsentiert. Ilic und Neziraj wollen so viele Kopien wie möglich an die politischen Entscheidungsträger verteilen. Einen ersten Versuch gab es bei der Leipziger Buchmesse, wo Serbien zwar Gastland war, jedoch Ilic offiziell nicht eingeladen hatte. Da hat einer der Herausgeber versucht, dem serbischen Kultusminister eine Kopie in die Hand zu drücken. "Er zeigte sich zwar begeistert, wollte jedoch das Geschenk lieber in Belgrad entgegennehmen. Die Bücher seien ihm zu schwer zu tragen", so Ilic augenzwinkernd.

Autorin: Anila Shuka

Redaktion: Mirjana Dikic