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Venezuelas ungewisse Zukunft

Sebastian Ertinger12. Oktober 2003

Venezuelas Präsident Hugo Chávez präsentiert sich gerne als Revolutionär. Sein Regierungsstil spaltet jedoch das Land und provoziert Aufstände gegen ihn. Kann eine Volksabstimmung Ruhe in den Krisenstaat bringen?

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Referendum statt Putsch:<br>ganz legitim soll Chávez fallenBild: AP

Die nationale Wahlkommission Venezuelas ebnete Ende September den Weg für ein Referendum über eine Amtsenthebung des umstrittenen Staatsoberhaupts. Vom 31. Oktober bis zum 3. November 2003 muss nun die Opposition mindestens 2,5 Millionen Unterschriften sammeln, damit der Volksentscheid stattfinden kann. Im Frühjahr 2004 könnte dann die Bevölkerung zu den Urnen gerufen werden, um über die Zukunft ihres Präsidenten abzustimmen.

Bereits zwei Mal hatten die Gegner von Chávez dieses Jahr vergeblich versucht, ein Referendum in Gang zu bringen. Die Wahlkommission hatte die im August eingereichte Liste als ungültig bezeichnet, da die Unterschriften entgegen der Verfassungsbestimmungen bereits vor Ablauf der Hälfte der Amtszeit des Präsidenten gesammelt wurden.

Die Armen halten zu Chávez

Demonstration für Hugo Chavez in Venezuela
Demonstration für Hugo ChávezBild: AP

Die Chancen für eine Abwahl des wegen seiner wüsten Beschimpfungen berüchtigten Staatschefs stehen nicht schlecht. Zwar liegt die Hürde für eine Absetzung mit 59 Prozent der Stimmen – genauso viel wie ihn gewählt haben – recht hoch. Traut man jedoch den Meinungsumfragen, so kann Chávez nur mit einer Zustimmung von rund 36 Prozent rechnen. "Aber das ist sehr schwer zu kalkulieren", meint Professor Klaus Bodemer im Gespräch mit DW-WORLD. Der Leiter des Instituts für Iberoamerika-Kunde in Hamburg räumt zwar ein, dass Anti-Chávismus in den Medien und Gewerkschaften sehr verbreitet ist. Vor allem aber in den armen Bevölkerungsteilen habe der Präsident mit seinem populistischen, informellen Regierungsstil noch erheblichen Rückhalt.

So schickte Chávez kubanische Ärzte in die Elendsviertel der Hauptstadt Caracas um die medizinische Grundversorgung zu gewährleisten. Einheimische Ärzte trauen sich dort schon lange nicht mehr hin. Ein groß angelegtes Alphabetisierungsprogramm für die unteren Bevölkerungsschichten soll Arbeit bringen. Aber beide Projekte dienen wohl eher dem Zugewinn von Popularität und Wählerstimmen, denn die wohlmeinenden Gaben des "Gönners" an sein Volk sind Luftschlösser. "Es gibt praktisch nichts mehr zu verteilen", sagt Bodemer. "Das Land ist pleite, die Infrastruktur bräuchte erhebliche Investitionen."

Die zahllosen Oppositionsgruppen sind zerstritten

Generalstreik in Venezuela
Generalstreik in VenezuelaBild: AP

Was passiert mit Venezuela, wenn das Referendum tatsächlich gegen Chávez ausfällt? "Er wird sich wohl kaum trauen, mit Gewalt die Macht festzuhalten", glaubt Bodemer. Nach dem Putschversuch gegen den Präsidenten im April 2002 sei auch die Armee gespalten. Auf die könne er sich also nicht verlassen. "Möglicherweise windet er sich aber noch mit einem Verfassungstrick heraus", vermutet der Lateinamerikaexperte. "Seine Interpretation der Staatsordnung ist vollkommen beliebig."

Ein potentieller Nachfolger für das Amt als Staatschef steht noch nicht fest. Die Oppositionsgruppen sind untereinander heillos zerstritten und sie haben keine herausragende Integrationsfigur. "Der Anti-Chávismus ist zwar eine Klammer, der die Bewegung zusammenhält, aber ihre Überlebensfähigkeit für eine Zeit nach Chávez ist nicht gesichert", erklärt Bodemer. Der Aufstieg des Populisten ins Präsidentenamt sei erheblich durch das totale Versagen der etablierten Parteien und deren zahlreiche Korruptionsaffären begünstigt worden. Von dieser Seite ist wohl kaum ein aussichtsreicher Kandidat zu erwarten.