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Väterchen Frost und das Schneemädchen

Stephan Hille30. Dezember 2003

Die Russen feiern Weihnachten auf ihre eigene Art. Das hat mehrere Gründe. Aber eines ist sicher: Dem Zufall wird nichts überlassen.

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Und es begab sich zu der Zeit als von Juri Michailowitsch Luschkow, Bürgermeister von Moskau, im 850. Jahr nach Gründung der Stadt, ein Ukas (eine Anordnung) ausging, wonach alle Geschäftswelt in der Hauptstadt ihre Läden, Einkaufszentren und Restaurants tüchtig mit Weihnachts- und Neujahrsdeko zu schmücken habe, auf dass alles bunt glitzere.

Mittlerweile schreiben wir das Jahr 856 nach Gründung der Stadt Moskau. Noch immer rücken Beamte aus der Moskauer Stadtverwaltung aus, um zu überprüfen, ob der Ukas des soeben erst wiedergewählten Stadtoberhauptes auch ausgeführt und die Norm in puncto Weihnachtsschmuck auch erfüllt wurde. Grund zur Klage dürften Luschkows Kontrolleure kaum haben: Bereits seit Wochen ist Moskau in ein Meer von Lichterketten, Christbäumen und Neujahrsschmuck getaucht.

Und während im Westen bereits die ersten nadelnden Weihnachtstannen entsorgt werden, laufen in Moskau wie auch im übrigen Russland die Vorbereitungen auf das große Fest erst an. Weihnachten wird in Russland erst am 7. Januar gefeiert, denn die russisch-orthodoxe Kirche hält weiter am alten Julianischen Kalender aus der Zeit vor der Revolution fest, der dem im Westen geltenden Gregorianischen Kalender um knapp zwei Wochen hinterher hinkt.

Inzwischen wird das von den Kommunisten einst abgeschaffte Weihnachtsfest auch wieder offiziell als wichtiger religiöser Feiertag begangen, doch die Geschenke werden bereits zuvor in der Silvesternacht ausgetauscht.

Der letzte Tag im Jahr wurde von der Sowjetmacht als weltliche Ersatzweihnacht eingeführt, und das Neujahrsfest ist bis heute nicht nur der beliebteste sondern auch der ausschweifenste Feiertag geblieben. So bleibt in Russland auch der 2. Januar arbeitsfrei und dient vor allem der "Reanimatija", der Ausnüchterung und Befreiung vom Neujahrskater.

Offiziell eingeläutet wurden die Neujahrsfeiertage schon einige Tage vor Silvester. In Moskau hat bereits der oberste Zeremonienmeister Juri Luschkow "Ded Moros" ("Großväterchen Frost"), das russische Pendant zum Weihnachtsmann, und seine hübsche Begleiterin und Assistentin "Snegurotschka" ("Schneemädchen") empfangen. Seit Luschkow vor einigen Jahren das kleine Dorf Welikij Ustjug rund 700 Kilometer nordöstlich von Moskau zur Überraschung aller, vor allem auch der Bewohner von Welikij Ustjug, zur Heimat des Großväterchen Frostes erklärt hat, reisen nun Jahr für Jahr der Herr Frost und das Schneemädchen aus dem kleinen Dorf nach Moskau.

Dank des Dekrets des Moskauer Bürgermeisters hat sich das einst unbekannte Welikij Ustjug inzwischen zur einer gewinnträchtigen "Ded Moros Aktiengesellschaft" gemausert. Auf dem Gelände eines ehemaligen sowjetischen Pionierlagers wurde ein mächtig-imposanter Holzbau, die Residenz von Großväterchen Frost, sowie eine Poststelle errichtet. Über 600.000 Zuschriften mit Wünschen sind in diesem Jahr dort eingetroffen. Fast alle würden beantwortet, heißt es, mit Ausnahme jener unbescheidenen Briefe aus Kinderhand geschrieben, in denen sich die Absender einen "Großbildfernseher" oder einen "Jeep, aber einen echten" wünschen.

Für die Moskauer ließ sich Bürgermeister Luschkow in diesem Jahr noch einen besonderen Gimmick einfallen: In der Innenstadt müssen alle Bus- und Straßenbahnfahrer noch bis zum 2. Januar als "Ded Moros" verkleidet das Steuer führen.

Inzwischen blüht das Dienstleistungsgeschäft rund um den russischen Weihnachtsmann. Etliche Agenturen bieten Hausbesuche des "Ded Moros" an. Kein Weg ist dem Väterchen Frost zu mühsam: Auf besonderen Wunsch und gegen den entsprechenden Aufpreis seilt er sich für die Bewohner von Moskaus Hochhäusern ab, um - wie es sich gehört - von draußen hereinzukommen.