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Deutschland schweigt zu Folter in Usbekistan

Richard Fuchs, Berlin 15. April 2015

Menschenrechtler klagen an: In Usbekistan gehört Folter zum Alltag. Sie werfen Deutschland und der EU vor, zu den Menschenrechtsverletzungen zu schweigen. Amnesty vermutet dahinter politisches Kalkül.

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Bild: Amnesty International/Henning Schacht

"Es ist ein offenes Geheimnis: Wer in Usbekistan bei den Behörden in Ungnade fällt, kann festgenommen und gefoltert werden", sagte Amnesty Deutschland Generalsekretärin Selmin Calişkan. Am Mittwoch stellte sie in Berlin einen Bericht über Menschenrechtsverletzungen in Usbekistan vor. Besonders skandalös in den Augen der Menschenrechtler: Wider besseren Wissens schaue die Bundesregierung seit Jahren bei diesem Verbrechen weg, kritisiert Calişkan: "Die internationale Gemeinschaft und insbesondere die EU und Deutschland verschließen seit Jahren die Augen".

"Ich war kein Mensch mehr, sondern Nummer 79"

Vahit Güneş ist eines der Opfer dieser Ignoranz, wie die Menschenrechtsaktivisten in ihrem Bericht darlegen. Güneş wollte eigentlich nur etwas verkaufen in Usbekistan. Dann fiel der erfolgreiche türkische Geschäftsmann, der eines der größten Shopping-Center Usbekistans gebaut hat, plötzlich und ohne Vorwarnung in Ungnade bei dem autoritär geführten Regime. Sein Business-Trip in die Hauptstadt Taschkent wurde, wie er der Menschenrechtsorganisation Amnesty International nach seiner Freilassung berichtete, zu einem Höllentrip in einem Unrechtsstaat. 10 Monate wurde Vahit Güneş in einem Geheimgefängnis weggesperrt, gefoltert und erniedrigt. "Sobald ich die Zelle betrat, begannen sie, mich zu schlagen", wird das Folteropfer in dem am Mittwoch in Berlin vorgestellten Bericht zur Lage der Folteropfer in Usbekistan zitiert. Für Maisy Weicherding, Autorin des Amnesty-Berichts, war vor allem die perfide Systematik der Folterpraktiken unter dem autoritären Regime von Machthaber Islom Karimov erschreckend: Die Namen der Folteropfer seien abgeschafft, jede Person trage nur noch den Namen der Zellennummer, erzählte der Geschäftsmann der Autorin: "Meine Nummer war 79. Ich war nicht mehr Vahit Güneş, sondern ich war 79, kein menschliches Wesen mehr, sondern eine Zahl."

Der türkische Geschäftsmann Vahit Günes geriet in Usbekistan in die Hände des Geheimdienstes - und wurde gefoltert
Der türkische Geschäftsmann Vahit Günes geriet in Usbekistan in die Hände des Geheimdienstes - und wurde gefoltertBild: Amnesty International
Protestaktion der Menschenrechtsaktivisten vor der Botschaft Usbekistans in Berlin
Protestaktion der Menschenrechtsaktivisten vor der Botschaft Usbekistans in BerlinBild: Amnesty International/Henning Schacht

Folter ist Routine beim usbekischen Geheimdienst

"Folter ist der schnellste Weg zu Geständnissen", erklärte John Dalhuisen, Leiter des Zentralasienprogramms von Amnesty International. Er ist Mitautor des Berichts, für den die Organisation Interviews mit 60 Folteropfern, Angehörigen, Anwälten und Regierungsvertretern geführt hat. Ihr Fazit: "Folter ist in Usbekistan ein ganz normales Mittel, um gegen Oppositionelle, Menschenrechtsaktivisten, scheinbare oder wirkliche Islamisten vorzugehen". Zu den gängigen Foltermethoden gehörten systematische Schläge, simuliertes Ersticken mit Plastiktüten oder Gasmasken, Vergewaltigung, psychologische Folter, Schlafentzug oder Elektroschocks. Zwar sei Folter auch nach den gängigen usbekischen Gesetzen verboten, sagt Selmin Calişkan, Generalsekretärin von Amnesty Deutschland: "Aber Foltervorwürfe werden in der Regel nicht untersucht und die Folterer kommen ohne Strafe davon."

Fordert Deutschland zum Handeln auf: Amnesty Deutschland Generalsekretärin Selim Caliskan
Fordert Deutschland zum Handeln auf: Amnesty Deutschland Generalsekretärin Selim CalişkanBild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Amnesty: Dialog alleine reicht nicht

Für die Menschenrechtsaktivisten ist vor allem die deutsche Bundesregierung in der Pflicht. Deutschland unterhalte beste Beziehungen zu dem autoritären Regime - und könne seine diplomatischen Kanäle nutzen. Die Forderung von Amnesty: Der Bundesaußenminister solle das Problem bereits beim nächsten EU-Außenministertreffen auf die Agenda heben. Auch eine Wiedereinführung der 2007 gelockerten Sanktionen gegen das Land müsse geprüft werden. Ein Sprecher der Bundesregierung verwies mit den Foltervorwürfen gegen das usbekische Regime auf einen Menschenrechtsdialog, den die EU und die Bundesregierung mit hochrangigen Politikern Usbekistans eingerichtet habe. "Die Menschenrechtsverletzungen werden in diesem Forum angesprochen", so der Regierungssprecher. Umida Nijasowa, Direktorin des Usbekisch-Deutschen Forums für Menschenrechte, hält diese Antwort der Regierung für eine Farce: "Dieser Dialog findet hinter verschlossenen Türen statt und wir haben keine Informationen, ob und wenn ja wie Menschenrechtsverletzungen thematisiert werden."

Amnesty International Bericht zu Usbekistan Petitionsübergabe in Berlin
Bild: Amnesty International/Henning Schacht

Wegschauen aus strategischen Gründen?

Für die Menschenrechtsaktivisten ist klar: Deutschlands Samthandschuhe gegen den usbekischen Diktator Karimov seien ein eindeutiges Signal dafür, dass die Bundesregierung die strategische Zusammenarbeit mit der Regierung wichtiger einschätze als die Einhaltung der Menschenrechte in dem Land. John Dalhuisen von Amnesty sieht dabei weniger wirtschaftliche Interessen im Vordergrund, sondern geopolitische Faktoren. "Noch wichtiger als die wirtschaftlichen Interessen scheint mir im Falle Deutschlands die umfangreiche militärische und sicherheitspolitische Kooperation mit Usbekistan zu sein". Die usbekischen Geheimdienste, von den Aktivisten als Speerspitze der Folterer bezeichnet, seien im Kampf gegen den internationalen Terrorismus ein geschätzter und verlässlicher Partner. Auf den wolle man in Berlin und Brüssel nicht verzichten, so die Einschätzung Dalhuisens. Deutschland unterhält in dem zentralasiatischen Land einen Militärstützpunkt in Termez. Und erst vor wenigen Wochen war eine usbekische Wirtschaftsdelegation bei Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) in Berlin zu Gast. Es seien zahlreiche bilaterale Geschäfte verabredet worden, so die Aktivisten.