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US-Kirchengemeinden vor der Pleite

Daniel Scheschkewitz, Washington 8. Juli 2004

Die katholische Kirche in den USA steckt in einer schweren Krise: Nach den zahlreichen Fällen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen rollt eine Welle von Klagen und Schadenersatzforderungen auf sie zu.

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Forderungen in MillionenhöheBild: AP

Der Pleitegeier geht um in den katholischen Gemeinden Amerikas: In der Erzdiözese Boston müssen bereits ganze Gemeinden geschlossen und Kirchen verkauft werden. Der Erdiözese Portland im US-Bundesstaat Orgeon droht noch Schlimmeres: Denn einer ihrer Gläubigen, James Devereaux, hat die Erzdiözese verklagt. Zusammen mit 60 anderen Betroffenen fordert er von der Kirche Schadenersatz für die Misshandlungen, die Maurice Grammond, ein inzwischen verstorbener Priester, seit 1950 an ihm und weiteren Kindern und Jugendlichen begangen haben soll.

Bankrott ist besser

Schon jetzt hat die Erzdiözese Portland über 50 Millionen US-Dollar an Schadersatz in anderen Fällen ausbezahlt. Um sich vor den Ansprüchen Devereauxs und der anderen Kläger zu schützen, entschlossen sich die Kirchenväter nun zu einem drastischen Schritt: Sie meldeten kurzerhand bankrott an: "Hat es soetwas schon mal gegeben?", wettert Erzbischof John Vlazny. "Es gefällt uns überhaupt nicht, dass wir die Ersten sind. Wir hätten gerne etwas mehr Erfahrung damit gehabt."

Nach amerikanischem Recht wird eine Kirchengemeinde wie eine Privatfirma behandelt. Sie erhält Gläubigerschutz, sobald sie bankrott anmeldet. Danach müssen alle Ausgaben von einem staatlichen Richter kontrolliert werden. Die katholische Kirche versucht sich auf diese Weise vor den immensen Schadenersatzforderungen der Kläger zu schützen. Für die Opfer kommt das einer moralischen Bankrotterklärung gleich. "Wieder einmal haben sie einen billigen Ausweg gewählt und sich vor ihrer Verantwortung gedrückt", sagt James Devereaux.

Kein Geld

Vor zwei Jahren - auf dem Höhepunkt des Sexskandals - hatten sich die US-Bischöfe zu einer lückenlosen Aufarbeitung aller Missbrauchsfälle verpflichtet. Seitdem brechen immer neue Klagen früherer Opfer über die katholische Kirche in den USA herein. Anders als in Deutschland, wo der Staat die Kirchensteuer einzieht, muss sich die katholische Kirche - so wie andere US-Kirchen auch - von den Spenden ihrer Mitglieder finanzieren.

Der Sexskandal hat dazu geführt, dass die Kirche an den Rand ihrer Zahlungsfähigkeit angelangt ist. In der Erzdiözese Boston, einer der größten in den USA, müssen bis zum Jahresende 65 Gemeinden geschlossen werden: Kirchengebäude stehen zum Verkauf und die Gläubigen auf der Straße. Aber der Sexskandal hat auch am moralischen Fundament der katholischen Kirche gekratzt. Den Kirchenvätern steht das Wasser bis zum Hals.