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Politik

Vor dem Urteil gegen Thailands Ex-Premier

24. August 2017

2014 war Thailands Premierministerin Yingluck Shinawatra gestürzt worden. Seither regiert im Land das Militär, das der ehemaligen Regierungschefin nun den Prozess macht.

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Thailand Bangkog Yingluck Shinawatra vor Gerichtsgebäude
Bild: Getty Images/AFP/L. Suwanrumpha

Mit dem am Freitag erwarteten Urteil gegen Ex-Premierministerin Yingluck Shinawatra schließt sich ein weiteres Kapitel im jahrelangen politischen Machtkampf Thailands. Der 2014 durch das Verfassungsgericht aus dem Amt gedrängten Premierministerin wird kriminelle Vernachlässigung ihrer Amtspflichten vorgeworfen. Dabei geht es um ein umstrittenes Reis-Subventionsprogramm, dass die Regierung der Premierministerin nach ihrer Wahl 2011 aufgesetzt hatte. Thailand war damals der größte Reisexporteur der Welt. Die Regierung kaufte den Bauern den Reis zum doppelten Marktpreis ab, lagerte den Reis ein und hoffte so, den Weltmarktpreis in die Höhe zu treiben. Doch Thailand verspekuliert sich. Indien, das jahrelang kaum Reis exportiert hatte, kam im gleichen Jahr zurück auf den Markt, und auch Vietnam erhöhte die Produktion, wodurch die Preise rapide sanken. Yinglucks Regierung verbrannte auf diese Weise nach Angaben der derzeit amtierenden Militärregierung etwa acht Milliarden US-Dollar.

Kritiker werfen Yinglucks Regierung in diesem Zusammenhang Populismus vor. Die Premierministerin hätte die Gesetze des Marktes ignoriert, um der Stammwählerschaft ihrer Pheu Thai Partei Geschenke zu machen. Sie habe dem Land damit insgesamt geschadet. Yingluck verteidigte die Subventionen im Rahmen des aktuellen Verfahrens im August 2016. Die Bauern hätten so eine gewisse Planungssicherheit erhalten und es sei darum gegangen, ihnen zumindest den gesetzlichen Mindestlohn zu zahlen. "Das war keine neue Politik. Das gab es seit 30 Jahren", erklärte Yingluck damals.

Wolfram Schaffar, Politologe von der Universität Wien und Kenner des Landes, weist darauf hin, dass es vergleichbare Agrarsubventionen weltweit gibt. "Das war ein absolutes Standardprogramm. Und ich sehe das so, dass die Opposition das künstlich hochspielt." 

Kein fairer Prozess

Bis heute weist die Ex-Premierministerin alle Anschuldigungen zurück und plädiert auf unschuldig. Sie sei das Opfer raffinierter politischer Ränkespiele. Im Falle einer Verurteilung drohen ihr bis zu zehn Jahre Haft und der lebenslange Ausschluss aus der Politik Thailands. Gegen das Urteil am Freitag kann Yingluck innerhalb von 30 Tagen Berufung einlegen.

Schaffar betont im Gespräch mit der Deutschen Welle: "Wir können in Thailand nicht von fairen Verfahren sprechen. Die Justiz ist nicht unabhängig und das zeigt sich auf allen Ebenen des Rechtssystems." Es sei deshalb falsch, so zu tun, als handle es sich im Falle Yinglucks um ein rechtsstaatliches Verfahren.   

Thailands polarisierte Politik

Der Prozess wirft ein bezeichnendes Licht auf die Art und Weise, wie in Thailand spätestens seit 2001 Politik gemacht wird. Damals wurde Thaksin Shinawatra, der ältere Bruder Yinglucks, Premierminister. Er belebte die Wirtschaft und legte zugleich das umfassendste staatliche Wohlfahrtsprogramm der thailändischen Geschichte auf. Die Idee zum Reis-Subventionsprogramm wird ebenfalls Thaksin zugeschrieben. Mit seiner Politik, die populistisch und autoritär war, war Thaksin sehr erfolgreich. Der Emporkömmling wurde damit der zuvor herrschenden Elite aus Bürokratie, Militär und Königshaus gefährlich. Insbesondere das Königshaus, das sich unter anderem durch sein soziales Engagement die Zuneigung der Bevölkerung erworben hatte, fürchtete um seinen Einfluss. 2006, während Thaksin auf dem UN-Gipfel in New York war, putschte das Militär. Thaksin lebt seitdem im Exil. Seine Partei Thai Rak Thai wurde 2007 verboten.

Thailand Militärputsch Soldat 30.05.14
2014 übernahm in Thailand das Militär die KontrolleBild: Getty Images

In den folgenden Jahren flammten immer wieder politische Unruhen auf. Bei gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der Armee und Anhängern der sogenannten Rothemden-Bewegung, die Thaksin unterstützt, kamen 2010 fast 100 Menschen ums Leben. Die Versuche des Establishments, die Shinawatras dauerhaft von der Macht fernzuhalten, scheiterten allerdings. 2011 gewann Yingluck an der Spitze der Pheu Thai Partei, die als Nachfolgepartei der Thai Rak Thai Partei gegründet worden war, mit deutlicher Mehrheit die allgemeinen Wahlen. Zum Sieg hatte unter anderem das in Aussicht gestellte Reis-Subventionsprogramm beigetragen. Der Shinawatra-Clan war nach fünfjäriger Pause zurück.

Als die Regierung Yinglucks 2013 eine Amnestie für Demonstranten der Proteste von 2010 und eine mögliche Amnestie für Thaksin ins Spiel brachte, rief das die politischen Gegner, die sogenannten Gelbhemden, auf den Plan. Sie versammelten hunderttausende Demonstranten auf den Straßen Bangkoks. Schlussendlich zwang das Verfassungsgericht Yingluck zum Rücktritt. Als sich die Lage nicht beruhigte, putschte zwei Wochen später das Militär unter der Führung von Prayuth Chan-Ocha.

Neutralisierung des Shinawatra-Clans

Seither baut die Militärregierung das politische System Thailands Schritt für Schritt um. Ziel ist es, den Einfluss der traditionellen Eliten aus Bürokratie, Militär und Königshaus zu sichern. Dafür ist es auch notwendig, den Shinawatra-Clan und deren Partei, die wie ein Stehaufmännchen nicht totzukriegen ist und mit immer neuen Namen zu den Wahlen antritt, endgültig zu neutralisieren.

Thailand Proteste am zweiten Jahrestag des Putsches
Am zweiten Jahrestag des Putsches kam vereinzelt zu ProtestenBild: picture alliance/AP Photo/M. Baker

Im August 2016 wurde eine vom Militär ausgearbeitete Verfassung per Referendum vom Volk angenommen. Die Verfassung sieht unter anderem eine Reduzierung der Zahl der gewählten Senatoren im thailändischen Oberhaus vor. Das bedeutet, dass aus den nächsten Wahlen, die aller Voraussicht nach wieder Yinglucks Partei Pheu Thai gewinnen wird, der Sieg nicht automatisch zu einer Mehrheit im Oberhaus führt, in dem viele Senatoren direkt vom Militär eingesetzt werden. Die neue Verfassung stärkt zugleich Institutionen wie das Verfassungsgericht oder die Anti-Korruptionsbehörde. Was auf den ersten Blick die Gewaltenteilung zu befördern scheint, bedeutet bei näherer Betrachtung das Gegenteil. Institutionen wie das Verfassungsgericht dienen in Thailand weniger der Verteidigung der Verfassung, als vielmehr der Durchsetzung der Interessen der Eliten. So wurde Yingluck 2014 durch das thailändische Verfassungsgericht gestürzt, noch bevor das Militär die Macht übernahmen. Schaffar fasst das so zusammen: "Ziel ist es, die Elemente direkter Demokratie zu schwächen und den Einfluss von Vetoinstanzen auszubauen. Es geht darum, die Mehrheitsentscheidungen der Wähler einzuhegen. Das Parlament wird umstellt von Institutionen, deren Mitglieder aus der Elite rekrutiert werden, um dessen Entscheidungen überschreiben zu können." 

Dass die Bevölkerung im Referendum für die Verfassung gestimmt hat, hat vor allem zwei Gründe. Zum einen hat die Militärregierung Presse- und Meinungsfreiheit stark beschnitten. Eine gesellschaftliche Debatte darüber, wie das Zusammenleben zukünftig gestaltet werden soll, ist nur sehr eingeschränkt möglich. Zum anderen hätte eine Ablehnung der Verfassung nur eine weitere Verzögerung im politischen Prozess bedeutet. Die Militärregierung hätte eine erneute Verfassung geschrieben, die erneut zur Abstimmung gestellt worden wäre. Die Normalisierung des politischen Geschäfts, wenn auch unter autoritären Vorzeichen, wäre bloß verschoben, aber nicht vermieden worden. Neuwahlen hat das Militärregime für 2018 in Aussicht gestellt. Allerdings wurde der Termin in den vergangenen Jahren bereits mehrfach verschoben.

Yingluck als Märtyrerin

Rund 3000 Anhänger Yinglucks erwartet die Militärregierung zur Urteilsverkündung. Barrikaden und mehr als 1000 Polizisten sollen dafür sorgen, dass es nicht zu Gewalt kommt. Die Ex-Premierministerin forderte ihre Anhänger per Facebook auf, nicht nach Bangkok zu kommen, um "unvorhersehbare Probleme" zu vermeiden. Ein Shinawatra-Anhänger und Rothemden-Aktivist äußerte gegenüber Reuters, dass es im Falle einer Verurteilung Protestaktionen geben werde. Trakool Mechai, ehemaliger Politologe von der Chulalongkorn Universität in Bangkok, glaubt nicht, dass es zu großen Protesten kommt. Dafür habe das Militär die Zügel zu fest in der Hand, erklärte er ebenfalls gegenüber Reuters. 

Allerdings kann es nach Einschätzung des Politiologen Schaffar durchaus sein, dass Yingluck zu einem Symbol, ja einer Märtyrerin wird, insbesondere da das jetzige Regime offensichtlich nicht vor der Verfolgungen einer Familie zurückschreckt.

Rodion Ebbinghausen DW Mitarbeiterfoto
Rodion Ebbighausen Redakteur der Programs for Asia