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Unverständliches Deutschland

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Der irakische Germanist Muthanna Al-Bazzaz liebt die deutsche Sprache. Doch als er nach 30 Jahren zum ersten Mal wieder nach Deutschland reisen kann, traut er seinen Ohren nicht: Was sprechen die Deutschen da?

Streiten über Deutsch: All-Bazzaz Illu 1

Grollend schluchzet Groß und Klein:
"Hier bin ich kein Deutscher, hier darf ich’s nicht sein.
Hier hab ich keine Sprache, das ist doch nicht fein!"

Ich bitte um Entschuldigung für diese legere Abänderung von Versen des berühmtesten deutschen Lyrikers, aber was soll ich sagen, wem soll ich’s klagen, wenn ein Volk, das mir ans Herz gewachsen ist, mit seiner Sprache dermaßen nachlässig umgeht, dass mir das Herz blutet!

Ich liebe die deutsche Sprache, denn ich bin in Deutschland aufgewachsen und habe dort über 15 Jahre gelebt, gelernt und studiert. Ich habe noch immer viele deutsche Freunde; die Kontakte blieben erhalten, obwohl ich Deutschland wegen der Kriege im Irak, wegen des Embargos und der Okkupation 30 Jahre lang nicht sehen konnte. Als ich im vergangenen Jahr die Chance bekam, nach Deutschland zu reisen, griff ich zu – und es gab ein großes Wiedersehen. Obwohl wir alle älter geworden waren, hatte ich das Gefühl, wir hätten uns überhaupt nicht getrennt.

Ein paar Brocken Englisch

Streiten über Deutsch: All-Bazzaz Illu 2

Was die Sprache betrifft, war diese Reise für mich allerdings ein geistig-seelischer Niederschlag. Denn neuerdings wird in Deutschland "global" gedacht und gesprochen. Anglizismen und "Denglisch" gelten als modern, wer sich selbst für intelligent hält, spuckt ein paar Brocken Englisch aus. Nichts "hat mehr Sinn", stattdessen "macht" jetzt alles Sinn. Ich konnte die Jugendlichen auf der Straße kaum verstehen; für Zeitungen und Zeitschriften wie "Spiegel" und "Welt" hätte ich fast ein englisch-deutsches Wörterbuch gebraucht. In den Geschäften heißt es "Sale" und "Service", der Kaffee wird "to go" getrunken und das Mittagessen ist "to take away". An einer "Hotline" wird mir "Support" angeboten. Armes Deutschland!

Was soll ich meinen Studenten an der Bagdader Universität sagen, wenn sie mich nach der Bedeutung der deutschen Sprache fragen? In Deutschland scheint die Sprache nicht mehr so wichtig zu sein. Wieso aber sollten junge Menschen im Ausland Deutsch lernen, wenn die Deutschen selbst ihre Sprache nicht pflegen?

Kant und Luther, Siemens und Bosch

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Traditionell sind die deutsche Sprache und das deutsche Volk im Irak sehr beliebt. Junge Intellektuelle lieben die deutschen Philosophen und Schriftsteller. Wer etwas auf sich hält, der studiert die Texte von Kant, Luther, Marx und Engels, von Nietzsche, Lessing und Goethe bis hin zu Böll und Grass. Aber nicht nur die deutschen Literaten sind beliebt und bekannt. Auch Namen wie Daimler, Siemens oder Bosch haben einen guten Ruf. Viele meiner Studenten warten darauf, dass endlich wieder deutsche Firmen im Irak investieren. Manch einer hofft auf eine berufliche Perspektive in einem deutschen Unternehmen.

Vor dem Krieg waren an der Sprachenfakultät der Universität Bagdad mehr als 700 Studenten für Germanistik eingeschrieben, sie studierten im Früh- und Abendunterricht. Heute haben wir zwar nur noch rund 150 Germanistik-Studenten an unserer Fakultät. Doch das liegt nicht etwa an einem sinkenden Interesse an der deutschen Sprache, sondern an den schwierigen Lebensverhältnissen infolge des Krieges. Den Abendunterricht zu besuchen ist zu gefährlich – die Sicherheitslage ist noch immer sehr schwierig. Und viele Familien können ihren Kindern das Studium ohnehin nicht mehr finanzieren, die Söhne und Töchter müssen für das Familieneinkommen arbeiten.

Ich wünsche mir, dass wieder mehr junge Menschen im Irak die schöne deutsche Sprache lernen und studieren werden. Vor allem aber wünsche ich mir, dass auch die Deutschen selbst wieder etwas für ihre Sprache tun. Denn wenn die kommenden Generationen Goethe und Schiller nicht mehr verstehen, dann können die Deutschen ihre Sprache, Kultur und Geschichte zu Grabe tragen.

NICHT LÖSCHEN!! Weißzeile für Projekt Sprache von Welt? Streiten über Deutsch
Muthanna Al-Bazzaz (Foto: privat)

Muthanna Al-Bazzaz, Jahrgang 1951, lehrt Germanistik an der Sprachenfakultät der Universität Bagdad und ist Chefübersetzer an der Deutschen Botschaft.

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