Streit ums Betreuungsgeld
28. Juni 2012Die Reihen im Plenarsaal des Reichstags waren recht gut gefüllt. Im zweiten Anlauf wollten die Abgeordneten die erste Lesung des geplanten Betreuungsgeldes dann anscheinend doch ordentlich über die Bühne bringen - der erste Versuch war gescheitert, weil nicht genügend Parlamentarier anwesend waren. Unter ihnen an diesem Donnerstag die Bundeskanzlerin, die mitten im Euro-Rettungsmarathon zwischen Berlin, Paris und Brüssel die Zeit fand, zumindest der Hälfte der Debatte zuzuhören.
Das konnte Familienministerin Kristina Schröder (CDU) ein wenig als Lob verstehen, das ihr zuletzt von Angela Merkel kaum mehr zuteil geworden war. Aber Hauptanliegen der Kanzlerin war dann offensichtlich ein anderes. Sie informierte - recht gut gelaunt - die Fraktionsvorsitzenden des Bundestags über ihr gestriges Gespräch mit dem französischen Präsidenten François Hollande.
Ministerin Schröder jedenfalls verfolgte mit hoher Aufmerksamkeit die Debattenbeiträge. Denn da mag der Euro zu zerbrechen drohen, beim Thema Familie und Kinder reden sich die Deutschen in- und außerhalb des Parlaments gern die Köpfe heiß.
Polarisierendes Thema
Da drohte der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer mit Koalitionsbruch, sollte das Betreuungsgeld nicht kommen. In den Medien tauchten Begriffe wie "Herdprämie" oder "Bildungsfernhalteprämie" auf. Deshalb erklärte die Familienministerin mit Vehemenz und kampfeslustig die Grundlogik des Gesetzes: "Alle Eltern mit Kindern haben einen Anspruch auf staatliche Förderung. Sie haben dabei die Wahl zwischen einer Sachleistung, also einem Betreuungsplatz und einer Geldleistung, dem Betreuungsgeld."
Vertreter der Koalitionsfraktionen CDU, CSU und FDP stellten sich mit deutlichen Appellen gegen die "ideologisch geführte Kampagne der Opposition gegen das Betreuungsgeld". Da wurde "Freiheit für die Familien" angemahnt und von einer "Diffamierung junger Familien" gesprochen. Schröder sprach von einer "Unverschämtheit gegenüber Familien". Eltern sollten sich nicht rechtfertigen müssen, was falsch und was richtig ist, forderte Dorothee Bär von der CSU. "Wir wollen kein Einheitsmodell in Deutschland. Jedes Kind ist anders und deshalb gibt es nicht die eine richtige Betreuungsform."
Wer soll' s bezahlen?
Für 39 Prozent der Kinder soll es künftig einen Kita-Platz geben. Für Eltern, die ihre Kinder zwischen dem 13. und 36. Lebensmonat nicht in eine öffentliche Betreuungseinrichtung geben wollen, soll es ein "Taschengeld" geben, wie es Sibylle Laurischk von der FDP nannte. Geplant sind zunächst 100 und später dann 150 Euro pro Kind und Monat. Dafür will der Staat zu 1,2 Milliarden Euro ausgeben.
Die Summe allerdings ist im Haushalt noch als sogenannte "globale Minderausgabe" aufgeführt, also noch nicht gegenfinanziert, das gab die Familienministerin auf Anfrage der Opposition zu. Sie hoffe im Übrigen, dass sie den Betrag nicht aus ihrem Etat abzweigen müsse, so Schröder, da das Betreuungsgeld ja schließlich ein Vorhaben der Koalition sei. Laut Medienberichten könnte es sein, dass die Mittel aus dem Etat des Bauministers kommen.
"Steigen Sie vom toten Gaul ab"
Eigentlich ist das Betreuungsgeld schon ein alter Hut, nämlich ein Vorhaben der vorherigen Koalition aus CDU/CSU und SPD. Die schwarz-rote Koalition hatte sich im Jahr 2007 auf ein Drei-Säulen-Modell geeingigt - mit Ausbau der Kitas, einem Rechtsanspruch für Kita-Betreuung und eben dem Betreuungsgeld.
Nun will die SPD davon nichts mehr wissen und fordert stattdessen einen weiteren Ausbau der Kita-Plätze durch Verzicht auf das Betreuungsgeld. "Steigen Sie vom toten Gaul ab", forderte Sozialdemokrat Sönke Rix. Seine Parteikollegin Dagmar Ziegler zitierte eine ganze Reihe von Umfragen, wonach eine Mehrheit der Bevölkerung gegen das Gesetz sei. Wobei Umfragen immer mit Vorsicht zu genießen sind. Denn in Redebeiträgen aus der Regierungskoalition wurden munter gegenteilige Zahlen für die Diskussion herangezogen.
Starkes Ost-West-Gefälle
In Wahrheit ginge es der Bundesregierung darum, von dem Manko abzulenken, dass es zum 1. August 2013 nicht genügend Kita-Plätze für Kleinkinder geben wird und damit der Rechtsanspruch fehl schlägt, sagte Ralph Lenkert von der Linkspartei.
In der Tat hapert es in diesem Punkt vor allem in den westlichen Bundesländern. Deshalb stellte die Familienministerin jüngst weitere Bundeshilfen in Aussicht, machte den Ländern aber auch deutlich, dass gehandelt werden müsse. In den östlichen Bundesländern gibt es dieses Problem nicht. Weil es in der DDR - im Westen zu Anfangs übrigens hoch umstritten - Tradition war, Kinder sehr früh in eine öffentliche Einrichtung zu geben und daran auch nach 1989 nicht gerüttelt wurde. Thüringen zum Beispiel hat derzeit eine Betreuungsquote von mehr als 60 Prozent für unter Dreijährige. Das liegt weit über den 39 Prozent liegt, die nun bundesweit geplant sind.
Markus Grübel von der CDU erinnerte daran, dass noch vor zehn Jahren im Westen Kita-Plätze für unter Dreijährige kaum gewollt waren. "Und aus den Kindern von damals ist ja auch etwas geworden", betonte Grübel. Er sprach damit gegen das Argument, wonach Kinder, die zuhause blieben, mit erheblichen Bildungsnachteilen rechnen müssten.
Was ist die eigentliche Katastrophe?
Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Renate Künast, für die das Betreuungsgeld auch ein "Freikaufen von einer Verpflichtung" ist, wirft der Regierung vor, sie versage in der zentralen Frage der Nachwuchsförderung. Das Betreuungsgeld vermindere die Bildungschancen benachteiligter Kinder und sei sozial ungerecht. Katja Dörner von den Grünen sprach sogar von einer "bildungs- und gleichstellungspolitischen Katastrophe".
Seit 1960 hat sich in Deutschland die Geburtenrate halbiert, obwohl der Staat doppelt soviel Geld für Familien zur Verfügung stellt. Daran erinnerte Sibylle Laurischk in ihrem Redebeitrag. Man dürfe bei aller hitzigen Diskussion nicht vergessen, dass es ein gesellschaftliches Problem gebe, was darüber liege: "Wir haben zu wenige Kinder in Deutschland."