1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Unterwegs mit der Schutzbrille

Silke Bartlick11. November 2006

Die Enquete Kommission 'Kultur in Deutschland‘ wollte sich mal vor Ort einen Eindruck verschaffen und hat diesmal nicht wie üblich im Deutschen Bundestag getagt, sondern in Schwedt an der Oder.

https://p.dw.com/p/9Ngz

Das Städtchen wird alle zwei Stunden vom Regionalexpress aus Berlin angefahren. Schnell lässt der Zug das mondäne Regierungsviertel hinter sich, zuckelt durch Vororte und taucht bald ein in die reizende uckermärkische Hügellandschaft. Natur gibt es hier wirklich reichlich, Menschen und Arbeit aber sind rar. Die Europäische Union hat Teile der Region zum unbesiedelten Gebiet erklärt.

Auch der Zug ist nur spärlich besetzt. Die Toilette benutzt man lieber nicht, das Reinigungspersonal, so sieht es aus, hat irgendwann resigniert. Zwei Frauen, Mitte fünfzig mögen sie sein, reden über ihre Enkelkinder und über den Friseur. 14 Euro fünfzig hat die eine das letzte Mal für waschen, schneiden, fönen bezahlt. Eine Dauerwelle war zu teuer, aber die Freundin einer Nachbarin hat ihr preiswert Strähnchen gemacht, die sorgen auch für etwas Halt.

Synthetische Stadt

Nach einer Stunde und siebzehn Minuten schließlich Ankunft an einem Bahnhof, der den Namen nicht verdient: ein Gleis, ein malträtierter Fahrkartenautomat, ein vernageltes Gebäude. Kein Taxi, nirgends ein Ortsplan und weit und breit keine Urbanität. Nur Plattenbauten. Schwedt ist eine 'synthetische‘ Stadt, wurde von der DDR zum Industriestandort hochgepusht und mit arbeitender Bevölkerung angereichert.

55.000 Menschen lebten hier 1984, heute sind es fast 19.0000 weniger. Wer kann, der geht. Dorthin, wo es Arbeit und eine Perspektive gibt. Hier nun wollte sich die Enquete Kommission 'Kultur in Deutschland‘ informieren über die "Auswirkungen der demographischen Veränderungen" auf die Kultur in Deutschland.

Kaffee und Kuchen

Die Parlamentarier sind mit dem bequemen Reisebus gekommen, haben sich aber 45 Minuten verspätet, weil der Busfahrer Schwedt nicht gleich gefunden hat. Dann sind sie direkt ins Theater spaziert, haben Kaffee getrunken und Brötchen und Kuchen gegessen. Und schließlich haben sie die geladenen Sachverständigen gebeten, sich wegen der Verspätung kurz zu fassen. Das haben alle versprochen, aber nicht gehalten.

Die Parlamentarier haben sich ein bisschen gelangweilt und in dem nur mäßig geheizten Tagungsraum gefroren. Auf weitere, gewohnte Annehmlichkeiten aber mussten sie nicht verzichten. Auf den Tischen standen funktionsfähige Mikrofone und alle dreißig Minuten boten adrette junge Damen Getränke und den kleinen Imbiss zum Kauf an. Die Kultur, erfuhr man derweil, hat es schwerer in Gegenden, aus denen die Menschen weglaufen. Für Fragen war dann nicht mehr viel Zeit. Weil der Bus ja zu spät gekommen war und weil die Parlamentarier auch wieder nach Berlin zurückmussten. Auf der Autobahn, im gut geheizten Reisebus und via Handy längst mit anderen Themen befasst.