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Unternehmen fürchten Brexit

Klaus Ulrich15. Februar 2016

Die britischen Europaskeptiker trommeln für einen Austritt ihres Landes aus der EU. Sie verkaufen einen solchen Brexit als Gewinn. Doch Unternehmer auf beiden Seiten des Ärmelkanals sehen das anders.

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Brexit Symbolbild
Bild: picture alliance/Klaus Ohlenschläger

Wirtschaftsbremse Brexit

Vier von fünf Unternehmensführern in Großbritannien und Deutschland sprechen sich klar gegen ein Ausscheiden des Vereinigten Königreiches aus der Europäischen Union aus, wie es das geplante Referendum der britischen Regierung zur Abstimmung stellen will. Dabei sagen sie als Folge eines Austritts vielfach negative Effekte für Arbeitsmärkte, Umsätze und Investitionen der eigenen Branchen und in ihren Unternehmen voraus. Die überwiegend negative Einschätzung ergibt sich dabei in beiden Ländern und unabhängig von Branchen. Dies ist das Ergebnis einer aktuellen repräsentativen Befragung durch die britische Forschungsinstitut Economist Intelligence Unit im Auftrag der deutschen Bertelsmann Stiftung.

Danach wünschen sich insgesamt 79 Prozent der befragten Unternehmer, Geschäftsführer und leitenden Angestellten, das Vereinigte Königreich solle in der EU verbleiben. In Deutschland liegt der Anteil mit 83 Prozent sogar noch etwas höher als in Großbritannien mit 76 Prozent. Mit über 80 Prozent sprechen sich im Vereinigten Königreich die Vertreter des verarbeitenden Gewerbes, von IT- und Technologiefirmen, des Einzelhandels und der Konsumgüterbranchen am stärksten für einen Verbleib in der EU aus.

Wie die Schweiz oder Norwegen

Dieses eindeutige Ergebnis überrascht, denn für die Befragung wurde bei einem Brexit von einem "Best Case Scenario" für die Briten ausgegangen. Danach würde das Vereinigte Königreich die EU nur als politische Einheit verlassen, wäre jedoch weiterhin Mitglied des Binnenmarktes. Das Land würde somit einen Status ähnlich dem der Schweiz oder Norwegens genießen.

Wirtschaftsbremse Brexit

Doch auch in dieser Variante eines Teilausstiegs aus der EU befürchten die befragten Unternehmen auf beiden Seiten des Ärmelkanals bereits erhebliche nachteilige Effekte für die Wirtschaft. So sehen 42 Prozent der Befragten negative oder sogar sehr negative Effekte für den jeweiligen nationalen Arbeitsmarkt voraus. Lediglich 13 Prozent glauben, ein solcher Schritt habe positive Auswirkungen auf nationale Beschäftigungsraten und die Arbeitslosigkeit.

Britische Unternehmen noch pessimistischer als deutsche

Negative Effekte befürchten die Unternehmenslenker auch für die eigenen Wirtschaftsbranchen: 38 Prozent der Befragten befürchten negative Auswirkungen auf die Umsätze, 33 Prozent auf Investitionen und 34 Prozent auf die Beschäftigung. Dabei zeigen sich die Unternehmen in Großbritannien nochmals pessimistischer als in Deutschland.

Auch für die eigenen Unternehmen sehen die Befragten diese Tendenzen als reale Bedrohung. Drei Jahre nach einem Ausscheiden Großbritanniens aus der EU erwarten 36 Prozent Einbrüche bei den Umsätzen, 31 Prozent bei den Investitionen und 29 Prozent negative Folgen für die Anzahl der Beschäftigten in den eigenen Unternehmen.

Forderung nach Kompromissen

Am deutlichsten werden die negativen Folgen bei der Frage nach unternehmerischen Entscheidungen. So will fast jedes Dritte aller befragten Unternehmen auf beiden Seiten des Kanals entweder seine Kapazitäten in Großbritannien verringern oder von der Insel weg verlagern. Dies gilt gleichermaßen für deutsche wie britische Unternehmen. Am stärksten sind solche Absichten im IT-Sektor mit 41 Prozent ausgeprägt, aber auch 33 Prozent der befragten Finanzunternehmen kündigen eine Reduzierung oder Verlagerung von Kapazitäten aus Großbritannien an.

Für Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung, ist die Umfrage ein klares Votum für einen Verbleib Großbritanniens in der EU: "Am Vorabend der Verhandlungen sagen uns die Wirtschaftslenker auf beiden Seiten des Ärmelkanals: Im Falle eines Brexit haben wir alle viel zu verlieren. Die Befürchtungen für Arbeitsplatz- und Wohlstandsverluste sind reale Bedrohungen." Die europäischen Regierungschefs hätten daher eine enorme Verpflichtung, jetzt Kompromisse zu finden, so De Geus.

Wohlstand in ganz Europa gefährdet

Auch die deutsche Tageszeitung "Die Welt" meint, ein Brexit würde den Wohlstand ganz Europas gefährden. In einem entsprechenden Artikel schreiben die Autoren, ein Brexit-Votum könnte die britische Wirtschaft schon im Jahr 2017 1,2 Prozentpunkte Wachstum kosten. Bisher gingen die Auguren noch von hohen 2,7 Prozent Plus aus.

Auch könnte ein Brexit die Forderungen nach einem schottischen Austritt aus dem Vereinigten Königreich wieder aufleben lassen, zitiert die Zeitung den Chef-Volkswirt von Hermes Investment Management, Neil Williams. Hinzu kommt: Scheidet Großbritannien als erster EU-Staat aus der Union aus, könnte dies das gesamte europäische Projekt infrage stellen, das bisher auf Zuwachs und Ausweitung ausgelegt ist.

"Die Märkte übersehen etwas Entscheidendes: Das Referendum über den EU-Austritt wird meist als britisches Thema wahrgenommen", glauben die Analysten der Barclays Bank und mahnen, "doch eigentlich muss es als europäisches Thema gesehen werden". Nicht nur in Großbritannien, auch in Frankreich und in Osteuropa hätten sich Nationalisten in Stellung gebracht, um die EU zu zerschlagen.