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Ungarns Standortqualität lässt nach

14. Mai 2002

- Deutsche Unternehmen produzieren dennoch mehr als ein Viertel des ungarischen BIP - Konjunkturstudie der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer

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Budapest, 13.5.2002, BUDAPESTER ZEITUNG, deutsch, Bettina Nemes

Seit Jahren haben die Unternehmen mit deutscher Beteiligung ihre Perspektiven nicht mehr so zurückhaltend bewertet wie jetzt, geht aus der jüngst veröffentlichten Konjunkturstudie der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer (DUIHK) hervor. Ungarns Standortqualität lässt nach. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Einerseits sind die Kosten am Arbeitsmarkt enorm gestiegen, zusätzlich fehlen ausgebildete Fachkräfte. Andererseits sind die Nachbarn Ungarns inzwischen zu ernstzunehmenden Wettbewerbern im Kampf um die Investoren aufgestiegen. Die Konjunkturstudie stützt sich auf eine Umfrage unter den rund 1000 Mitgliedsunternehmen der Industrie- und Handelskammer.

Der größte Anteil der ausländischen Investoren ist seit der Wende 1989 aus Deutschland gekommen, sie haben seither insgesamt zehn Milliarden Euro investiert und beschäftigen mehr als 200.000 ungarische Mitarbeiter. Die Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung produzieren inzwischen mehr als ein Viertel des ungarischen Bruttoinlandsprodukts. Diese Unternehmen sind weit mehr als nur Investoren, sie sind integraler Bestandteil der ungarischen Gesellschaft und Wirtschaft.

Laut Yorck Sievers, dem Leiter des Bereichs Publikationen und Veranstaltungen in der DUIHK ist die Konjunkturstudie plausibel und aussagekräftig. Sie stellt die Basis der Interessenvertretungstätigkeit der Kammer dar. Die Studie entspreche dem tatsächlichen Investitionsverhalten der vergangenen Jahre. Die Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung haben im Jahr 2001 im Vergleich zum vorangegangenen Jahr durchschnittlich ein Umsatzplus von 33 Prozent und einen Ertragsanstieg von 36 Prozent erzielt. Dazu muss aber auch gesagt werden, dass die Kosten ebenfalls um 28 Prozent gestiegen sind. Selbst wenn die Kostensteigerung das Wachstum der Erträge fast aufwiegt, bleibt aus der Sicht der Unternehmen noch ein recht gutes Ergebnis, so die DUIHK. In diesem Jahr rechnen die Unternehmen lediglich mit einer 24-prozentigen Umsatzsteigerung und 30 Prozent Ertraganstieg. 82 Prozent der deutschen Unternehmen sind laut der Studie sehr zufrieden mit ihrem hiesigem Engagement. Aber in Verbindung mit neuen Investitionen sind sie durch die Abschwächung der Attraktivität des Standortes nachdenklicher geworden, verschieben diese oder gehen gleich in andere Länder. Besonders das angrenzende rumänische Siebenbürgen taucht in den Überlegungen vieler Unternehmer immer stärker auf. Die gedämpfte Stimmung zeigt sich auch darin, dass nur noch 25 Prozent der Unternehmen mit deutschem Kapitalanteil in Ungarn investieren wollen. In den vorangegangenen Jahren waren es noch 50 Prozent.

Dennoch loben die Investoren weiterhin die Stabilität Ungarns. 79 Prozent der Befragten bezeichneten die wirtschaftliche Stabilität als positiv, 73 Prozent die politische Stabilität. Der bevorstehende Beitritt in die EU spielte nur für 48 Prozent der Befragten eine Rolle. Wichtiger war mit 68 Prozent da schon eher die Erschließung neuer Absatzmärkte in Ungarn. Die Unternehmen empfehlen der ungarischen Regierung die drastische Senkung der Kosten und Abgabenlasten. Kostensteigerungen haben die Unternehmen schon erwartet, denn mit dem EU-Beitritt steht diese Frage schon lang im Raum. Aber mit dieser Rasanz der Kostenentwicklung hätten sie nicht gerechnet, so die Studie.

Negativ beurteilen die Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung inzwischen die schlechte Verfügbarkeit an qualifizierten Fachkräften und echte strukturelle Defizite. Sie sind der Meinung, dass Ungarn ernsthaft darüber nachdenken müsse, ob es für die Wirtschaft gut ist, zu viele Akademiker auszubilden. In Ungarn sei eindeutig eine Überbewertung der Universitäts-Ausbildung feststellbar, nebst einer zu hohen Distanz zur Facharbeiterausbildung. Es gebe noch ungeheure Potentiale, die realisiert werden können, um den Standort Ungarn wieder erfolgreicher zu gestalten, folgert die DUIHK. (fp)