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Ungarische Verteidigungsreform

9. Februar 2004

– Minister Juhász setzt zum vierten Versuch an

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Budapest, 9.2.2004, BUDAPESTER ZEITUNG, deutsch, Sebestyén L. v. Gorka

Es ist fast fünfzehn Jahre her, dass die ungarische Volksarmee unter dem roten Stern und allem, was dazu gehört, marschierte. Während die umgetaufte Ungarische Armee seitdem radikal ab- und umgebaut wurde und die Gelegenheit hatte, an mehreren internationalen Missionen teilzunehmen, unternimmt der amtierende Verteidigungsminister den Versuch, eine von einem umfassenden Konzept geleitete Verteidigungsreform durchzuführen.

Jede postkommunistische Regierung unternahm bisher zumindest einen Versuch, die überkommenen Strukturen der Armee zu reformieren. Erst war es das Ungarische Demokratische Forum, MDF, das zwischen 1990 und 1994 der vielleicht größten Herausforderung gegenüberstand: die Umwandlung einer von Moskau-geführten Massenarmee in eine viel kleinere, den Interessen der Nation dienenden, Armee. Es war ein mutiger Versuch gewesen, konnte aber im Endeffekt den Einfluss der in der UdSSR ausgebildeten Generäle und Oberste nicht brechen. Diese wollten oder konnten die neue Denkweise nicht annehmen. Vielfach fühlten sie sich auch einfach nur von jeglicher Veränderung bedroht. Ein Grund des Scheiterns war auch das Versäumnis der Partei, den Soldaten und Bürgern den konzeptionellen Hintergrund der Reformen darzulegen und sie in die Veränderungen mit einzubeziehen.

Dann kamen die von Gyula Horn geführten früheren Kommunisten der Ungarischen Sozialistischen Partei, MSZP. Sie waren zwischen 1994 und 1998 an der Macht. Die Verminderung der Personalstärke ging auch unter ihnen weiter, ebenso das konzeptionelle Vakuum. Aus dem Verteidigungsministerium wurde eine Plattform, von der aus Minister György Keleti seine weitere politische Karriere fördern konnte. Er selbst war früher Offizier gewesen und als solcher nur nominal ein wirklich ziviler Minister. Die Forderungen seiner alten Kameraden, den ehemals moskautreuen Generälen, waren ihm wichtiger als die tatsächlichen Bedürfnisse der Ungarischen Armee. Leidtragende dieser Bevorzugung waren die einfachen Soldaten und Stabsoffiziere. Um wirkliche Reformen noch weiter zu erschweren und vorhandene Strukturen zu verfestigen, setzten Keleti und Horn unter Ausnutzung alter Verbindungen zum Kreml durch, dass offene Forderungen an den russischen Staat durch die Lieferung von großen Mengen an militärischer Ausrüstung aus der Sowjet-Ära beglichen wurden. Dieses Geschäft führte im Endeffekt dazu, dass das werdende NATO-Land Ungarn viel länger als nötig auf veraltete und kapitalintensive Technik aus den alten Warschauer-Pakt-Zeiten angewiesen blieb.

Als nächstes kamen von 1998 bis 2002 die Jungen Demokraten. Der erste Fehler der bürgerlichen Regierung unter Premier Viktor Orbán war die Entscheidung, den Posten des Verteidigungsministers ihrem kleinen Koalitionspartner, der Partei der Kleinbauern zu geben. Nur ein Jahr vor Ungarns historischem Beitritt in die erfolgreichste Militärallianz der Welt, der NATO, gaben sie dieses Amt einer Partei, welche weder an Verteidigung interessiert war, noch einen geeigneten Politiker hatte, Ungarn in die transatlantische Union zu führen. Vier Jahre lang wurde die Ungarische Armee von János Szabó geleitet, einem militärischen Laien, der bis dato Rechtsberater der Blumen-Großhandelsfirma SASAD gewesen war.

Der von Szabó an den Tag gelegte Mangel an Interesse ist vielleicht am besten durch sein Benehmen beim ersten Treffen der NATO-Verteidigungsminister nach dem Anschlag vom 11. September zu illustrieren. Das Meeting war bereits voll im Gange, als Szabó aufstand und zur Tür ging. Als ihn der Staatssekretär, der ihn nach Brüssel begleitete, diskret zur Rede stellte, entgegnete er nur, dass er rechtzeitig zum Abendessen wieder in Budapest sein möchte. Zu seinem Glück wurde der Ruf des Landes gerettet, indem der Untergebene seinen Chef zum Bleiben überreden konnte. Ähnlich desinteressiert am Zustand der Armee zeigten sich aber auch das Kabinett und Premier Orbán. Die Ungarische Armee wurde sich selbst überlassen. Die Reputation und Glaubwürdigkeit des Landes erlitt in NATO-Kreisen arge Blessuren.

Als sich das politische Glücksrad nochmals drehte, bekamen vor zwanzig Monaten die Sozialisten das Verteidigungsportfolio erneut in ihre Hände. Die Erwartungen waren hoch, da der für den Job ausgesuchte Ferenc Juhász niemand anderes war als das frühere Oppositionsmitglied des parlamentarischen Verteidigungskomitees, der Orbáns Verteidigungspolitik vier Jahre lang vehement kritisiert hatte. Überraschenderweise hatte Juhász anfangs auf eine für Minister sehr untypische Art seine intensive Rhetorik beibehalten und sprach wiederholt und sehr energisch davon, dass endlich etwas zur Rettung der Ungarischen Armee unternommen werden müsse. Neue Verteidigungsreformen wurden entworfen und zur Ergänzung der wenigen Interessierten, die Juhász ursprünglich ins Ministerium mitbringen konnte, ein Beraterteam ins Leben gerufen. Dieser neue Versuch wurde teilweise durch von der US-Regierung finanzierte amerikanische Berater unterstützt. Außerdem wirkte ein engagierter britischer Berater mit, der dank einer bilateralen Vereinbarung beider Regierungen im ungarischen Ministerium auf eine hohe Ebene gestellt wurde. Durch diese Initiative hoffte man, dass im Land bald eine echte Verteidigungsreform mit einem richtungsweisenden Konzept in Gang kommen würde. Eine Armee sollte entstehen, welche den neuen Herausforderungen gerecht würde und den nationalen und alliierten Anforderungen des dritten Jahrtausends entsprechen könnte.

Doch schon schoben sich neue Wolken vor die Szene. Ein Reformpaket wurde zwar ausgearbeitet, aber von der Regierung nicht abgesegnet. Örtliche Parteiinteressen kollidierten mit der aus Kostengründen erwogenen Schließung von einigen Militärbasen. Auch aus den Reihen der beharrungsversessenen Altkader regte sich Widerstand. Der junge Minister musste mit mehr Gegenwind kämpfen als er vertragen kann.

Immerhin sieht es jetzt aber so aus, als wenn Ungarn noch eine Chance bekommt: den kurz vor seiner Veröffentlichung stehenden gemeinsamen britisch-ungarischen Aktionsplan mit seinem kurzfristigen, rigorosen und konkreten Zeitplan für Reformen. Es fragt sich nur noch, ob die gegenwärtige Regierung imstande sein wird, diesem Plan die ohne Frage benötigte politische Rückendeckung zu geben. (fp)