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Ungarische Vergangenheitsbewältigung

14. Dezember 2004

- Sozialisten wollen Stasi-Akten öffnen

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Budapest, 13.12.2004, BUDAPESTER ZEITUNG, deutsch

Die Sozialisten arbeiten an einer Gesetzesvorlage, wonach die Akten der ungarischen Staatssicherheit, die sich im historischen Archiv befinden, uneingeschränkt zugänglich gemacht werden sollen. Seit der Wende wird darüber diskutiert, wie man mit den Informationen umgehen soll, die immer wieder dafür sorgen, dass Menschen des öffentlichen Lebens als Spitzel enttarnt werden. Die Opposition unterstützt den MSZP(Sozialistische Partei – MD)-Vorschlag, weist aber darauf hin, dass das Archiv schon längst gesäubert sei. Wichtige Dokumente seien entweder vernichtet worden oder verschwunden.

MSZP-Chef István Hiller und Fraktionsvorsitzende Ildikó Lendvai erklärten auf einer außerordentlichen Pressekonferenz (...), alle Dokumente aus der Abteilung III der Staatssicherheit, die in der Zeit zwischen dem 21. Dezember 1944 und dem 14. Februar 1990 entstanden seien, sollten frei zugänglich werden. Jeder dürfte die Akten auch veröffentlichen. Da die berühmt-berüchtigten "III/III"-er nicht nur als Spitzel im Inland tätig waren, würden durch die Veröffentlichung auch sämtliche Spione, die beispielsweise in England oder in den USA im Einsatz waren, aufgedeckt.

Sicherheitspolitiker halten diesen Schritt für einen großen Fehler. So werde das ganze Beziehungssystem des ungarischen Geheimdienstes frei gelegt – mit katastrophalen Folgen für die noch immer aktiven Agenten. László Földi, Ex-Chef der Informationsbehörde (IH), wies darauf hin, dass niemand mehr mit einem Geheimdienst reden werde, der seine Agenten nach 15 bis 20 Jahren enttarne. Genau das sei den Tschechen passiert, nachdem sie ihre Akten freigegeben hatten. Die Aufdeckung der Inlandsagenten sei hingegen wünschenswert, so Földi. Ervin Demeter (Fidesz (Bund Junger Demokraten – MD)), der in der Orbán-Regierung für die Geheimdienste zuständig war, begrüßte den Schritt der MSZP. Bezüglich der fehlenden Akten empfahl er, dass die Sozialisten, die vor der Wende im Innenministerium beschäftigt waren, helfen könnten, diese zu finden. Auch die Papiere, die zur Enttarnung von Péter Medgyessy geführt haben, seien nicht im historischen Archiv aufgetaucht. Man werde erst durch den genauen Wortlaut der Gesetzesvorlage sehen, wie ernst es die MSZP meine, so Demeter.

Am vergangenen Freitag (10.12.) äußerte sich die MSZP schon weitaus vorsichtiger. Es sollten nicht alle Stasi-Akten offengelegt werden, sondern nur die Namen der Agenten und ihrer Verbindungsoffiziere. "Die MSZP möchte, dass jeder erwachsene Ungar das Amt betreten kann, um über jeden zu erfahren, ob er Spitzel war", präzisierte der Fraktionsvize Sándor Burány. Unter seiner Leitung arbeiten die Sozialisten an der Modifizierung des Agentengesetzes. Der Politiker sprach sich weiterhin dafür aus, Garantien in den Gesetzentwurf einzubauen. "Es muss verhindert werden, dass das Privatleben von den Bespitzelten in die Medien gezerrt werden kann." Die Privatsphäre der Opfer müsse in jedem Fall gewahrt bleiben.

Damit befand sich Burány auch im Einklang mit SZDSZ-Chef Gábor Kuncze, der sich ebenfalls dafür aussprach, dass nicht nur die Persönlichkeitsrechte der Täter, sondern auch die der Opfer respektiert werden müssten. Die jüngste Initiative der Sozialisten betrachte er als Wende in der Politik der MSZP, die bisher eine Offenlegung der Akten stets verhindert habe. "Der SZDSZ (Bund Freier Demokraten – MD) unterstützt jeden, der sich für eine Offenlegung der Akten der Staatssicherheit einsetzt", unterstrich der Parteivorsitzende und erinnerte an eine entsprechende erste Initiative von Gábor Demszky und Péter Hack im Jahre 1990. (fp)